Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0034
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1.3 Methodik

33

das Verhalten des Einzelnen gewonnen werden. Diese Beziehungen entstehen
durch Kommunikation. Quantität und Qualität der Beziehungen hängen also
ebenso von der Kommunikation ab, so dass die vorliegende Fragestellung mit
den Zielen der NWA teilweise zur Deckung kommt.97
Grundlegendes Ziel der NWA ist eine bessere Orientierung über komplexe
Informationen. Dazu werden in einem quantifizierenden Ansatz alle verfügba-
ren Informationen reduziert, abstrahiert und standardisiert, um sie schließlich
zielgerichtet präsentieren, vergleichen und interpretieren zu können. Dies ge-
schieht weniger mit dem Ziel, die soziale Realität abzubilden, sondern vielmehr
strukturelle Muster zu erkennen wie beispielsweise Cliquen, Asymmetrien oder
Löcher. Die hierfür nötige mathematische Formalisierung führt allerdings zu
einer Vernachlässigung individueller Eigenheiten, weshalb der quantifizierende
Ansatz der NWA in die Kritik geriet.98 Verstärkt wird diese Problematik bei der
Anwendung in den Geschichtswissenschaften: Dort erscheint erstens die Kom-
plexitätsreduzierung als zur klassischen historischen Kontextualisierung ge-
genläufig. Zweitens entfällt im Vergleich zur Soziologie die Möglichkeit zur
Befragung und Beobachtung der Akteure und stellt eine häufig äußerst unsi-
chere Quellenlage drittens die Verlässlichkeit der Datengrundlage in Frage.99
Die Kombination von Quellen als dem Historiker ohnehin vertraute Vorge-
hensweise um unsichere, mangelnde oder fehlende Quellen auszugleichen, er-
laubt auch bei der NWA zumindest eine Problemreduktion. Zwar ist eine „Re-
konstruktion von historischen Verflechtungsbeziehungen nicht mit der gleichen
Vollständigkeit wie in den Sozialwissenschaften möglich",100 doch stellt die
NWA gleichwohl ein unverzichtbares Instrument für die Analyse umfangreicher
Kommunikationsbeziehungen dar: Sie integriert erstens die Handelnden der
zweiten und dritten Reihe, welche entweder aufgrund der „traditionellen he-
roischen Geschichtsschreibung" oder wegen Quellenmangels zu oft im Dunkel
der Geschichte verborgen bleiben.101 Zum Zweiten kommt sie dem prozessualen
Charakter historischer Phänomene entgegen, indem den Beziehungen Zeit-
punkte zugewiesen werden. Der Vergleich von Netzwerken zu verschiedenen
Zeitpunkten kann Veränderungen offenbaren, die auf herkömmliche Weise nicht
aus den Quellen herauszulesen sind.102 Ähnliches gilt drittens für die Erfassung
von Räumen. Viertens gewährt sie einen Blick auf die Verteilung von Attributen,
beispielsweise der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen. Fünftens

97 Zum Verhältnis der Paradigmen ,Netzwerke' und Kommunikation' vgl. Steffen Albrecht,
Netzwerke 2010.
98 Zur Diskussion um mangelnde theoretische Unterfütterung vgl. Trezzini, Aspekte 1998, S. 515,
526 sowie Schenk, Netzwerke 1984, S. 9.
99 Demzufolge könnten vergleichende Berechnungen zwar Tendenzen aufzeigen, die implizite
Genauigkeit einer Zahl bleibe aber stets kritisch zu hinterfragen. Auch eine Triangulation feh-
lender Daten mit qualitativen Informationen anderer Herkunft werde kein vollständiges Bild
ergeben, so dass lediglich Netzwerke zu einzelnen Vorgängen erschließbar seien und keine
vollständigen Ego- oder Gesamtnetzwerke, so Reupke - Volk, Akte 2013, S. 299.
100 N. Reinhardt, Macht 2000, S. 48.
101 Gramsch, Seilschaften 2009, S. 184.
102 Vgl. Rose, Reconstitution 2011.
 
Annotationen