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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0037
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36

I. Einleitung

sammengefasst werden. So würden fälschlicherweise aus einem einmaligen
Treffen von zwei Personen, bei dem vier Reformthemen besprochen wurden,
mindestens 8 Kontakte werden. Es wird daher unterschieden zwischen Real-
kontaktzahl (ein Kontakt unabhängig davon, wie viele Themen dabei eine Rolle
spielten) und Themenkontaktzahl (jedes besprochene Thema ist ein Kontakt,
wenn auch in derselben Situation und Örtlichkeit im Rahmen eines Kommuni-
kationsanlasses verbalisiert).
Die Zahl fehlenden Datenmaterials oder, anders ausgedrückt, die Dunkel-
ziffer der Beziehungen, ist aus mehreren Gründen als sehr hoch einzuschätzen:
Zunächst ist der verhältnismäßig geringe Umfang an Quellen zu nennen, die
Hinweise auf Kommunikation zur Kirchenreform enthalten. Hinzukommen
verbreitet Datierungs- und Zuordnungsprobleme.111 Viertens verwehrt der zu-
sammenfassende Charakter mancher Quellen den Blick auf alle an einem
Kommunikationsereignis Beteiligten und die zeitlichen Dimensionen, so dass
„unsichtbare Systeme aus sichtbaren Krisen" rekonstruiert werden müssen -
eine Aufgabe, die nur selten gelingt.112 Eine nur theoretisch erschlossene parallele
Anwesenheit wie sie Zeugenschaften oder Synodalunterschriften belegen,
wurde generell ignoriert.113 Überhaupt wurden Synoden, die größtenteils meh-
rere Tage dauerten, als ein einziges Kommunikationsereignis betrachtet, da die
Quellen nur in Ausnahmefällen detailliert genug für tagesgenaue Zuordnungen
sind.
Im Rahmen der Frage nach fehlenden Daten tritt eine signifikante Unterre-
präsentation von Laien zu Tage: Sie werden erstens bevorzugt als unspezifizierte
Gruppe, insbesondere im Rahmen der Gottesfrieden, dargestellt - allenfalls wird

111 Beispielsweise geht aus brieflichen Quellen nur selten hervor, wo und wann diese geschrieben
sind, von wem sie überbracht wurden oder wo der Adressat sich beim Empfang eines Briefes
aufhielt. Oftmals ist hier mit dem Versuch von Annäherungen zu arbeiten oder auch gar keine
Aussage möglich, weshalb z.B. Briefe Papst Alexanders II. herausfielen, die abgesehen von der
Zuordnung zu Alexander (1061-1072) nicht datierbar sind. VgL JL 4722, 4724.
112 Zitat bei Moos, Krise 2001, S. 301 in Anlehnung an Geertz, Beschreibung 1995, S. 96-132,261-287.
In einer Urkunde für die Reform des kanonikalen Gemeinschaftslebens in Cesena werden bei-
spielsweise neben Erzbischof Gebhard auch „Senioris et magister" Gebhards sowie andere bi-
schöfliche und abbatiale Kollegen, einige Priester, Diakone und andere Personen geistlichen
Ranges zwar erwähnt, aber ihre Rolle und Namen nicht weiter spezifiziert (s. unten Anm. 1876).
Inwieweit es sich dabei um ein Netz von Unterstützern handelt, das bei ähnlichen Vorgängen
ebenfalls existierte und dort lediglich nicht erwähnt wurde, oder ob hier ein Sonderfall vorliegt,
lässt sich nicht entscheiden. Als zweites Beispiel mag die Unterstützung der Mailänder Pataria
durch Laien dienen. Hierfür ist einerseits nicht belegt, wie oft Gottesdienste der Pataria in der
Kirche der Canonica stattfanden, und andererseits, wie häufig die Kirche Azzos oder das Haus
von Nazarius in mehreren Jahren für patarenische Versammlungen genutzt wurden. Hier
wurde stellvertretend jeweils ein Kontakt angenommen. S. Abschnitt II.2.9. Diese Liste ließe sich
mit Boten und Gelehrten in Ravenna bezüglich der Verwandtenehe oder den Informanten Abt
Siegfrieds von Gorze bezüglich Heinrichs III. Eheplänen u.v.a.m. beliebig fortsetzen. Wenn
immerhin die Zahl der unbekannten Personen erschließbar war, wurden diese Personen als NN
(Abt 1), NN (Abt 2) usw. codiert. Eine Pluralnennung wurde als zwei Personen (NN1 und NN2)
aufgelöst - es können aber wesentlich mehr Personen beteiligt gewesen sein.
113 Synodalbeschlüsse und Urkunden werden dem Aussteller bzw. Einladenden zugeschrieben
und Unterzeichnende als Kontaktpartner des Initiators angegeben.
 
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