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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0041
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40

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

auf gezeigt, wo zumeist „emendare, normam ren ovare, restituere, restaurare,
corrigere, meliorare, deviantes ... ad viam reducere, mutare"120 oder „instaura-
tio"121 Verwendung gefunden hätten. Wesentlich seltener sprächen die Quellen
von „reformare" und „reformatio".122 Tellenbach monierte daher zu Recht das
Auseinanderfallen von zeitgenössischer und moderner Terminologie, indem der
mittelalterlichen Wortvielfalt der Einzelbegriff Reform gegenübergestellt wer-
de.123 Dennoch bedarf die Forschung eines Begriffes, um ihren Untersuchungs-
gegenstand benennen zu können und offensichtlich sieht sie im Reformbegriff
das vereint, was die zeitgenössischen Ausdrücke lediglich in Einzelaspekten
oder zu allgemein beschreiben.124 Mindestens ebenso problematisch, wie einer-
seits einen eher marginalen Quellenbegriff zum Signifikant zu erheben, erscheint
andererseits die Selbstverständlichkeit, mit der über Reform gesprochen wird,
ohne dass zugleich definiert würde, was der jeweilige Autor darunter versteht -
und das, obwohl die Komplexität des Reformbegriffes wie auch die Vielfalt
seiner Erscheinungsformen spätestens seit Matthias Werners Überlegungen zum
Mönchtum bekannt sind.125 Erschwerend kommt die Verwendung dutzender,
inhaltlich aber ebenso wenig bestimmter Komposita oder Umschreibungen
hinzu.126 Die verwendeten Begrifflichkeiten bewegen sich folglich in einem
Spannungsfeld von Gesamtphänomen und individueller Gestaltungsform.127
Diese terminologischen Schwierigkeiten im Hinterkopf behaltend, wird
zunächst der Forschungsstand beleuchtet, wobei ein allgemeines Verständnis
von Reform als „Erneuerung im weitesten Sinne" Anwendung findet.

120 Tellenbach, Reformmönchtum 1975, S. 374.
121 Melville, Aspekte 2007, S. 149 erhielt bei einer statistischen Analyse auf Basis elektronischer
Abfragen von Mignes Patrologia Latina als häufigste Quellenbegriffe reformatio, correctio, in-
stauratio, renovatio oder emendatio.
122 Tellenbach, Kirche 1988, S. F133-135E
123 So Tellenbach, Kirche 1988, S. F133-135. Auch heute, über 20 Jahre später, besitzt diese Fest-
stellung noch einige Gültigkeit: Als „königliche Kirchenreform" bezeichnete beispielsweise
Zschoch, Christenheit 2004, S. 15 das Wirken Heinrichs III. am Ende des Jahres 1046. Für Fink,
Papsttum 1981, S. 22 und 26, hingegen wurde die „Reform des 11. Jahrhunderts" „aus vielen
Quellgründen" gespeist, zu denen er monastische und eremitische Bewegungen aus Cluny,
Lothringen und Italien zählte. VgL Miethke, Reform 1995, S. 545f.
124 Beispielsweise renovatio als Erneuerung von etwas Vergangenem v. a. für den weltlichen Bereich,
vgL Wolgast, Reform 1984, S. 318; mangelnde Spezifik von emendare, mutare, meliorare.
125 Vgl. M. Werner, Wege 1989, S. 267.
126 Ein extremes Beispiel für Komposita ist Studt, Reformverbände 2008, die Fachausdrücken
(Reformkonzil) oder Quellengattungen (Reformdekret, Reformstatut) Komposita wie Reform-
bestrebungen, -engagement, -arbeiten, -kontakt, und -aktivität an die Seite stellte (31 weitere
sind ebd. nachzulesen). Dieser abwechslungsreiche Stil blieb die inhaltliche Füllung der Begriffe
indes schuldig. - Vgl. auch Schmieder, Peripherie 2005, S. 362 [„Zugleich verwiesen Leos adlige
ebenso wie Reformer-Netzwerke das Papsttum weg von Rom oder Italien hin auf die ganze
Christianitas (...)."] sowie Foulon, Eglise 2008, der sich mit „milieux reformateurs" behalf (vgl.
den Titel: Eglise et reforme au Moyen Age. Papaute, milieux reformateurs et ecclesiologie dans
les Pays de la Loire au toumant des XIe-XIF siecles).
127 Diese Problematik begegnet auch bei anderen Untersuchungsfeldem wie beispielsweise dem
Klosterhumanismus, vgl. H. Müller, Habit 2006, S. 31f.
 
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