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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0045
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II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

konzentriert hatte, gehörten noch sämtliche Bestrebungen vor Papst Gregor VII.,
also bis 1073, zur Frühreform, Anton und Jakobs beschränkten deren Dauer
hingegen auf die Jahre zwischen 1046 und 1057 bzw. 1059,153 und auch Gilchrist
ordnete sie den Jahren 1049 bis 1061 zu.154 Damit ist zumindest eine Tendenz zu
erkennen, wenngleich die Eckdaten variieren. Eine strukturelle Perspektive
wählte hingegen Kohnle mit seiner an Becker orientierten Unterteilung in mo-
ralische, organisatorische und politisch-rechtliche Forderungen: Zu den mora-
lischen zählte er Simonieverbot und Verbannung der Priesterehe, zu den orga-
nisatorischen Forderungen die Einschränkung des Laieneinflusses auf kirchliche
Belange, die Durchsetzung der kanonischen Wahl, ein reguliertes Klerikerleben
sowie die Stärkung des innerkirchlichen Papstprimats und zu den politisch-
rechtlichen schließlich Investitur verböte, Reformpolitisierung und rücksichts-
lose Durchsetzung des Papstprimats weit über den kirchlichen Bereich hinaus.155
Einer gewissen zeitlichen Einordnung wollte sich jedoch auch Kohnle nicht
entziehen und so setzte er die politisch-rechtlichen Forderungen in die Zeit
Gregors VII. Beide Perspektiven verfügen über Vorzüge, weisen zugleich aber
Schwächen auf: Die zeitliche Variante charakterisiert ausschließlich rückbli-
ckend aus der Zeit und Perspektive Gregors VII. und lässt eindeutig nachweis-
bares Engagement im Vorfeld der so genannten papstgeschichtlichen Wende
außen vor. Die strukturelle Variante scheint mir weniger problematisch, wenn
auch nicht völlig überzeugend, denn eine Trennung der Diskussion um den
Einfluss der Laien von der Simoniefrage beispielsweise ist ebenso undenkbar wie
die Trennung der Diskussion um die Priesterehe vom regulierten Klerikerleben.
Die Zuordnung der Reformpolitisierung in die Zeit Gregors VII. ignoriert zudem
Affären wie die Verfolgung der Hammersteiner und canusinisch-tuszischen
Ehen. Auf eine Binnendifferenzierung wird daher vorerst verzichtet.
Melville folgend soll in dieser Studie unter Reform „eine sich über einen
gewissen Zeitraum erstreckende, planvolle Veränderung von aktuellen Zu-
ständen mit der Absicht, diese zu verbessern"156, verstanden werden. Dabei ist es
unerheblich, ob diese Veränderung rückblickend oder progressiv ausgerichtet
ist. Eine Veränderung aktueller Zustände bedarf logischerweise des zwischen-
menschlichen Austausches. Der Reformbegriff beinhaltet also eine kommuni-
kative Komponente.
Gegenüber diesem allgemein gehaltenen Begriff - hierunter könnte bei-
spielsweise auch die Einführung der karolingischen Grafschaftsverfassung oder
die rein bauliche Erneuerung von Kirchen verstanden werden - umfasst die
Spezifizierung „Kirchenreform" lediglich jene planvollen Veränderungen, wel-
che auf die geistlich-moralischen Lebensbedingungen von Mitgliedern der

153 Jakobs, Kirchenreform 1999 betitelte seinen zweiten Abschnitt als „Frühreform - Die Deutschen
Päpste (1046-1057)"; Anton, Stufen 1987, S. 252; Hallinger, Fragen 1957, S. 9 und 11. Zur
Gleichsetzung von „Gregorianem" und „Reformern" vgl. Ott - Jones, Introduction 2007, S. 13.
Der Begriff als Titel bei Tomek, Studien 1910.
154 Gilchrist, Cardinal 1972, S. 338f.
155 Kohnle, Hugo 1993, S. 65 im Anschluss an A. Becker, Studien 1955, S. 31f.
156 S. oben Anm. 143.
 
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