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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0052
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II.2 Themen und Hintergründe

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welcher auf der Lateransynode 1059 einen allgemeinen Gottesfrieden sowie eine
treugci Dei für Gallien, Aquitanien und die Gascogne nachträglich sanktionier-
te.* * * * * 194 Von Alexander II. hat sich im Gegenzug sogar ein Brieffragment an Bischof
Kunibert von Turin erhalten, das seine Skepsis gegenüber der treuga aufzeigt und
die immer stärker werdende Berufung auf die Kanones verdeutlicht.195 Generell
behielten die Frieden also ihren regionalen Kern und wurden seitens des
Papsttums nur flankierend, und schließlich sogar gar nicht mehr, unterstützt.
Wenngleich sie durch politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen
hervorgerufen worden waren, blieben die Gottesfrieden ihrem Selbstverständnis
nach eine von allen gesellschaftlichen Schichten getragene, religiös fundierte
Bewegung.196 Unter Aufgriff kirchenreformerischer Ziele strebte sie nach Wie-
derherstellung der alten Ordnung und gliedert sich damit in die übrigen Re-
formbestrebungen der Zeit ein. Zudem engagierten sich ihre Initiatoren teilweise
auch für andere Reformthemen.197 Die beteiligten Laien erscheinen stets als un-
definierbare Masse, so dass individuelles Engagement kaum nachzuweisen ist.
II.2.3 Simonie
Gerade im spirituell-sittlichen Bereich manifestierte sich im 11. Jahrhundert ein
zunehmend verändertes Bewusstsein: „Den Zeitgenossen war die Diskrepanz
zwischen urkirchlichem Ideal und täglich erlebter Praxis, zwischen Rechtsnorm'
und Rechts Wirklichkeit' (Tellenbach), mehr und mehr zum Problem gewor-
den."198 Dies führte zunächst zu einer Weiterentwicklung der Ekklesiologie. So
lässt sich im 10. Jahrhundert bei Rather von Verona, Atto von Vercelli oder Abbo
von Fleury eine stärkere Orientierung an den alten Kanones wahrnehmen, zu-
nächst allerdings unzusammenhängend und unprogrammatisch.199 Eine eben-

stimmte zwar der Zuordnung eines von Blumenthal aufgefundenen und „mit guten Gründen
Papst Leo IX. und dem Reimser Konzil" zugeschriebenen Textes zu, schränkte aber ein: „Viel-
leicht gehen die hier in Frage stehenden Kanones von der Reimser Gesetzgebung aus und
wurden im Lauf der Zeit ergänzt, umgestellt oder gekürzt (...)." Etwa zehn darin enthaltene
Kanones greifen Bestimmungen früherer französischer Gottesfriedensbestimmungen auf.
194 S. unten Anm. 1648.
195 S. unten Anm. 1589.
196 Vgl. Goetz, Gottesfrieden 2002, S. 39; Cowdrey, Peace 1970, S. 50. Nicht zuletzt Hoffmanns
Charakteristik der Gottesfriedensbewegung als 1. Kombination des dreifachen Schutzes zu
Gunsten der Geistlichen, des Kirchengutes und der Armen, unter 2. Teilnahme der Laien an den
Beschlüssen und 3. Appell an die Reliquien zeigt die überragende Bedeutung der religiösen
Motivation (Gottesfriede 1964, S. 47).
197 Beispielsweise Papst Leo IX. für die Bekämpfung von Simonie und Priesterehe, Abt Odilo von
Cluny für ein monastisches Leben frei von äußeren Einflüssen. Die geringe Zahl der Über-
schneidungen ist nicht zuletzt der geographischen und zeitlichen Beschränkung des Untersu-
chungsraumes geschuldet.
198 Struve, Wende 1992, S. 336.
199 Vgl. Anton, Stufen 1987, S. 243-249. Während Miccoli, Raterio 1973 die Ansichten Rathers von
Verona (gest. 974) weniger als Gesellschaftskritik mit systematischem Entwurf, sondern viel-
mehr als situative Abwehr interpretierte und auch Capitani, Raterio 1973 eher epigonenhafte
 
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