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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0176
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II.3 Personen und Gruppen

175

wie der Anmaßung laikaler Richtertätigkeit gegenüber Geistlichen.1022 Ohne das
Laienengagement - sei es als öffentlichen Druck ausübende Volksmasse oder als
individuelle Unterstützer - hätten die patarenischen Bewegungen ein gänzlich
anderes Gesicht bekommen.
Abgesehen von Heinrich II. und Heinrich III.1023 sind keine Laien bekannt,
die sich für die neuen Ansichten im Bereich der Verwandtenehe einsetzten. Al-
lein zwei Briefe1024 Petrus Damianis offenbaren schlaglichtartig, dass es sich of-
fensichtlich um einen überlieferungsbedingten Befund handelt, aus dem nicht
auf generelles laikales Desinteresse geschlossen werden darf. Der Eremit be-
richtet nämlich über einen Besuch in Ravenna, während dem er in eine Dis-
kussion um die Verwandtschaftsgrade verwickelt wurde. Die Florentiner Bür-
gerschaft hatte, unsicher über die korrekte Zählweise der Verwandtschaftsgrade,
Boten nach Ravenna entsandt, in der Hoffnung auf ein gelehrtes Urteil. Damiani,
wie auch Bischof Johanes von Cesena und Archidiakon Amelrich von Ravenna,
nahmen an den Erörterungen teil. Warum, ist unbekannt. Im Anschluss hätten
Letztere Damiani um eine Verschriftlichung gebeten und zwar mit dem expli-
ziten Ziel der Publikation - einzig aus diesem Begehr, seiner Erfüllung und
Damianis aktiver Sorge um die Bewahrung seiner Briefe wurden diese Ereignisse
der Nachwelt überliefert. In einem späteren Schreiben führt der Eremit aus, dass
verschiedene Laien seiner vormaligen Argumentation widersprochen hätten.
Aus dem Wortlaut kann jedoch nicht erschlossen werden, ob dies auf die Dis-
kussion in Ravenna selbst oder auf Damianis schriftliche Argumentation Bezug
nimmt und wogegen sich der laikale Widerstand genau regte.
Im Übrigen waren Laien - allen voran Heinrich III. - vor allem die Betrof-
fenen, wie Tab. 3 zeigt: Aus dem Hochadel sind nicht weniger als zwölf Fälle
bewusster Ignoranz zu naher Verwandtschaft bekannt, von denen mindestens
zehn feststellbar kritisiert, aber nur vier nachweisbar juristisch verfolgt wurden.
Zu einer Trennung der Verbindung kam es bei etwa jedem dritten dokumen-
tierten Fall, wofür zumeist eine offizielle Anklage durch die Kirche nötig und
verantwortlich war. Zwei Paare widersetzten sich allerdings dem kirchlichen
Urteil: Die so genannte Hammersteiner Eheaffäre beschäftigte zwischen 1018
und 1027 mehrere Synoden, Papst Benedikt VIII. sowie Heinrich II., bevor
Konrad II. sie zu Gunsten des kritisierten Paares für beendet erklärte (Nr. 3) - im
Falle des sonst nicht weiter bekannten Markgrafen Otto von Bayern leistete
Heinrich III. der Kirche Schützenhilfe und konfiszierte die Güter des Paares (Nr.

1022 Zu Letzterem vgL Zumhagen, Konflikte 2002, S. 66; zu diesem Absatz s. oben Abschnitt II.2.9
und speziell Violante, Laici 1968.
1023 Die Nahehe der Beatrix von Canossa-Tuszien mit Gottfried von Lothringen kritisierte Heinrich
III. vermutlich vorrangig aus politischen Gründen. Die Eheleute gelobten 1057 oder 1068, eine
Josefsehe zu führen und gründeten ein Priorat als „monastere dispensateur". Auch Heinrich
selbst war wie sein Vater nach den neuen Normen zu nahe mit seinen Gattinnen verwandt.
Während Konrad anhängige Verfahren mittels autoritärer Entscheidungen beendete und sogar
wider besseren Wissens eine inzestuöse Verbindung seiner Tochter anstrebte, erließ Heinrich III.
immerhin ein Edikt für Italien, wenn er auch nicht vor seiner eigenen Haustür kehrte. S. oben S.
75f.
1024 Petrus Damiani, Briefe 1, Nr. 19 und 36.
 
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