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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0177
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176

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

13). Jenseits des Hochadels, der aufgrund seiner Stellung natürlich größeres
Quelleninteresse genoss, findet sich lediglich ein Fall von Verwandtenehe. Er
wurde vermutlich deshalb dokumentiert, weil erstmals Ausgleichszahlungen
für eine kirchliche Dispens diskutiert und akzeptiert wurden (Nr. 6). Im Ver-
gleich zu lediglich vier weiteren von Corbet verzeichneten Fällen im gesamten
11. Jahrhundert für das deutsche Königreich stellen sich insbesondere die
zwanziger bis fünfziger Jahre des 11. Jahrhunderts als kritische Phase im Um-
gang mit Verwandtenehen dar. Auch wenn das vorhergehende Jahrhundert
nicht eigens untersucht wurde, dürfte die Einschätzung statthaft sein, dass ein
zunehmendes kritisches Bewusstsein den Untersuchungszeitraum kennzeich-
nete. Für die einzigen beiden nach 1054 nachweisbaren Fälle liegt die Erklärung
nahe, dass aufgrund der veränderten Denkhaltung und dadurch rigoroseren
Verfolgung weniger Verwandtenehen geschlossen wurden und daher auch
weniger zu beanstanden waren.
Ein weiterer Aspekt des Laieneinflusses, der Besitz von Kirchengütem und
-einkünften, scheint den dürftigen Hinweisen zufolge einigen Laien selbst ein
Dorn im Auge gewesen zu sein: Um 1045 hatte ein gewisser Simon die Hälfte
seines Zehntanteils der Kirche St-Opportune den Mönchen von St-Aubin über-
tragen, die zweite Hälfte aber zu persönlichem Nutzen zurückbehalten. Bald
nach der Übernahme des Bischofsamtes von Nantes durch den Mönch Airard
(1049) sei Simon an ihn herangetreten und habe ihm von seinem Schwur be-
richtet, auch den zweiten Teil zurückzuerstatten. Airard habe mittels Verweis auf
die Strafe der Exkommunikation die sofortige Herausgabe des zweiten Zehnt-
anteils erreicht und auch diesen St-Aubin übertragen. Diese Notiz aus dem
Chartular der Abtei St-Aubin weist dem Bischof als direktem Wohltäter eine
zentrale Rolle zu, während die eigentliche Initiative schon Jahre im Voraus bei
Simon selbst gelegen hatte. Wozu hätte er dem Bischof von seinem Versprechen
berichten sollen, wenn nicht, um es mit dessen Hilfe einzulösen? Eine Urkunde
Airards zeigt diesen wiederum als Vermittler zwischen „multi verentes“, die ihm
ihre Zehnten und Oblationen an Kirchen und Altären aus Angst vor Exkom-
munikation übertragen haben sollen. Stellvertretend für einige andere nannte
Airard den sonst unbekannten vornehmen Laien Roaldus als Gebenden.1025 Wie
der Kontakt zwischen Schenkern und Bischof zustande gekommen war, lässt die
Bischofsurkunde im Dunkel. Vielleicht lag auch hier die Initiative bei den Laien.
Diese beiden Schlaglichter offenbaren auch in ihrer Parteilichkeit für den Bischof,
dass die Laienwelt des Nantais individuelle Initiativen für die Restitution von
Kirchengütem ergriff und sich dabei die Unterstützung des Bischofs sicherte.
Schon bald aber kehrte sich dieses positive Verhältnis ins Gegenteil, als nämlich
Klerus und Volk den ihnen von Leo IX. aufgezwungenen Bischof kritisierten.1026
Einen generellen Laieneinfluss auf die Kirche zeigt die Nähe der Canusiner
Beatrix und Gottfried zum Papsttum: Abgesehen von einer in ihren Beweg-
gründen nicht greifbaren Zusammenarbeit bezüglich des Domkapitels von
Mantua um 1053 von Beatrix und ihrem Verwandten Papst Leo, vermittelte

1025 S. unten Anm. 1720.
1026 Ebd., Anm. 1721.
 
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