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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0306
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IV Resümee

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entsprechenden Zeugnisse erhalten sind, kann heute nicht mehr entschieden
werden.
Zu den bedeutendsten Örtlichkeiten zählten aufgrund der zahlreichen
Synoden in jedem Falle Bischofskirchen. Klöster scheinen keine spezifische Rolle
gespielt zu haben. Dafür boten öffentliche Plätze, insbesondere der Marktplatz,
einem großen Publikum Raum und wurden daher für Predigten und Eidesleis-
tungen genutzt.
Die Kommunikation fand zum größten Teil von Angesicht zu Angesicht statt
und war damit lokal gebunden. Dieser Befund bestätigt die These Althoffs vom
kausalen Zusammenhang zwischen Mobilität und Einflussnahme: Wer Einfluss
nehmen wollte, musste reisen.
Auch soziale Räume - durch menschliches Handeln und Interaktion kon-
stituierte Wirkungsbereiche - konnten nachgewiesen werden: So nutzte bei-
spielsweise die Mailänder Pataria vorhandene öffentliche Räume um, schuf
durch Inbesitznahme oder Bau neue Räume und verstetigte damit soziale Be-
ziehungen. Dieser Prozess der Institutionalisierung schuf somit zunächst eine
Zwischenform sozialer Ordnung oberhalb von Individuen und unterhalb von
Institutionen i. S. v. strukturierten Organisationen wie Ehe oder Kirche.
Bei einem Vergleich von indirekten und direkten Reformkontakten stellte
sich heraus, dass diese unterschiedlichen Kommunikationsarten gänzlich andere
Netzwerke generierten. Offenbar dienten die indirekten Kontakte gezielt einer
nicht-redundanten Ergänzung direkter Kontakte und verdichteten so den Re-
formdiskurs. Solche Erkenntnisse sind mit klassisch-geschichtswissenschaftli-
chen Methoden nicht zu gewinnen.
Nachdem schon im Zuge der personellen Beteiligung das Stichwort Ambi-
valenz gefallen ist, können bei näherer Betrachtung Widersprüche zwischen
Norm und Praxis als ein wesentliches Charakteristikum der Reform nachge-
wiesen werden, was deren Prozesshaftigkeit unterstreicht. Es gab keine teleo-
logische Entwicklung hin auf ein Ziel der Erledigung aller Probleme, sondern
einen durch stete Rückbindung an die Praxis, Rückfälle und Sonderfälle ge-
prägten Diskurs, dem sich Themen hinzugesellten, die erst im Laufe der Dis-
kussion Relevanz erhielten wie die Entfremdung von Kirchengut und der Lai-
eneinfluss. Dieser Prozesscharakter ist in inhaltlich-zeitlicher Perspektive keine
neue Erkenntnis, wie der Forschungsbegriff „Frühreform" aus der älteren Lite-
ratur belegt. Doch greift diese Perspektive allein zu kurz. Räumliche und vor
allem personelle Faktoren, von der Forschung bislang nur in Teilen beachtet,
spielen für das Gesamtverständnis des Phänomens Kirchenreform eine min-
destens ebenso bedeutsame Rolle.
 
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