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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 28.1929

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Eisler, Max: Hugo Gorge, Wien
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248

HUGO GORGE, WIEN

Die Anfänge Hugo Gorges reichen in die Zeit vor dem
Kriege zurück. Er war an der Akademie — wie vor
ihm Strnad — ein Schüler Ohmanns gewesen, der ihn schon
während der Lernzeit in seinem Atelier beschäftigt hatte,
und war dann in den Jahren des Überganges zur Selb-
ständigkeit in der Werkstatt Strnads tätig. In dieser Ge-
meinschaft, die bald fast alle Talente der jungen Generation
umfaßte, hat auch Gorge seine Grundsätze gebildet. Aber
schon damals traten einige Merkmale seiner eigentümlichen
feinen Begabung deutlich hervor.
Das Österreichische Museum hatte eine gute, vielleicht
seine beste Zeit. Die benachbarte und organisatorisch an-
gegliederte Kunstgewerbeschule unter Leitung Alfred Rollers
stand in voller Blüte, und ihr fruchtbarer Geist, ihr froh
schaffender Eifer bestimmte das lebhafte, wahrhaft lebendige
Bild der Ausstellungen im Museum. Es ging dabei nicht
um Darbietungen der Architektur, sondern nur um einge-
richtete Innenräume. Aber diese Innenräume waren — das
wissen wir heute — die Keimzellen für die entwickelte
Wiener Baukunst der Gegenwart. Wenn heute die Wiener
Baukunst, bei aller Gemeinsamkeit mit den paneuropäischen
Vorgängen, durch eine besonders intime Bewegung, durch
ein besonderes Gefühl für die Gliederung sich auszeichnet,
dann hat sie diese Eigenschaft zu allermeist der lang an-
dauernden, eingehenden Beschäftigung mit dem Innenraum,
ja sogar der mit dem einzelnen Möbelstück zu danken.
Und an dieser Entwicklung hat Hugo Gorge seinen vor-
züglichen Anteil.
Sein Werk kommt, wenn man will, vom Möbel her, jeden-
falls ist es von diesem Ausgangspunkt am besten zu ver-
stehen. Daß dabei der Wohnraum immer das Ziel bleibt,
ist innerhalb der modernen Schule, in der er steht, nur
selbstverständlich und erscheint uns für den Charakter seiner
Arbeit weniger wichtig. Denn schon sein Möbel ist so be-
schaffen, daß es je nach seiner Zusammenstellung einen
immer andern, immer wohnlichen Raum ergibt. Schon sein
Möbel ist Raumform.
Am Beginn herrschte die Lust der Erfindung. Wenn man
damals einen Ausstellungsraum von Gorge betrat, war man
gewiß, auch nur für ein Motiv, etwa für einen Sessel, eine
ganz neue Fülle von Varianten zu begegnen, die damit
noch immer nicht erschöpft, sondern so variabel waren,
daß sie zahllosen Nachahmern Anregung gaben. Aber diese
Erfindung zeigte sehr bald Kultur, also das gerade Gegen-
teil von Improvisation. Und eben damit war die Selbständig-

keit erreicht. Denn seit ihrer ersten Reife ist die in jeder
Hinsicht bewegliche Arbeit Gorges beherrscht von einer
handwerklich und geistig gleich entwickelten Kultur. Das
Material wird gewählt, die Form funktionell und gefühlvoll
gebildet, die früher reichen, wenn auch strengen Linien
werden einfach beruhigt, die Farben in den schönsten Fällen
auf einen vornehm verhaltenen Ton gestimmt. Schon beim
Einzelstück ist Sorgfalt und Hingabe am Werke, keines
ist so gering, daß es nicht mit gleicher Aufmerksamkeit
und Empfindung erlebt wird.
Aus dieser besonderen Konzentration erklärt sich dann
auch das Bild von Gorges Innenräumen. Da ist jeder Teil
scharf und sauber herangebildet und doch wieder aufs
Ganze bedacht. Dazu tritt noch ein bestimmter Sinn für
die Flächenwirkung, für den geschlossenen Aspekt von
jedem Standpunkt. Es ergibt sich ein reiner, prägnant ge-
ordneter oder schön bewegter Zusammenhalt, den man
sowohl an den schlichten Beispielen unseres Heftes — an
dem Gast- und Dachzimmer — wie auch an der kostbaren
und doch überaus distinguierten Halle in der Villa am Co-
benzl wahrnehmen kann.
Umstände der Zeit haben es mit sich gebracht, daß Gorge,
der u. a. eines der ersten und besten Wiener Zinshäuser
moderner Art gemacht hat und diese Tätigkeit auch an den
neuen Volkswohnhäusern fortsetzen konnte, bisher nur
wenige Bauten hat durchführen können. Er blieb, wie die
meisten seiner engeren Kameraden, auf Entwürfe angewiesen,
von denen wir eine Auswahl der neuesten zeigen. Trotz
der schwierigen und undankbaren Verhältnisse bleibt er an
allen Aufgaben von problematischer Bedeutung beteiligt.
Von ihm — in Gemeinschaft mit den Architekten Kaym
und Hetmanek — stammt jenes vorzügliche Projekt für die
Neustadt Sandleithen, das wir früher einmal veröffentlicht
haben. Wie klar und zielbewußt er praktische Aufgaben,
und zwar sowohl solche des Wirtschaftslebens wie auch Ein-
richtungen der sozialen Wohlfahrt zu lösen weiß, das zeigen
bei uns die Entwürfe für Warenhäuser und das Bad in
Wiener Neustadt. Wie fein, bei aller Bedachtnahme auf
den Zweck, gelegentlich die gestaltende Empfindung, die
wir von seinen Innenräumen kennen, auch in einer Bauform
zum Ausdruck kommt, das zeigt vielleicht am bewegtesten
der Entwurf für die Synagoge in Hietzing.
Von dieser Kraft hat die Wiener Baukunst für die Ent-
wicklung ihrer individuellen Formensprache, für ihre Sätti-
gung mit Kultur, noch viel Schönes zu erwarten.
Max Eisler
 
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