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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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May, Ernst: Das Neue Frankfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0007

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I Sprachen beim Turmbau zu Babel. Die ungeheueren Fortfehritte, die der Menfch
in diefem Zeiträume auf allen Gebieten feiner geiftigen und materiellen Be-
tätigung machte, nicht zulerjt feine gewaltigen Fortfehritte in der Technik, brachen
über ihn herein, ohne dafj er vorbereitet war, die ungeheuere Flut des Neuen
zu meiftern. So gefchah es, dafj er allmählich zum Sklaven feiner eigenen
Schöpfung herabfank.

Dann kam der Weltkrieg. Er rifj Millionen gewaltfam heraus aus dem gleichför-
migen Ablauf der Dinge und ftellte fie gleichfam auf fteilen Berg und zwang fie,
von dort herabzufchauen auf ihr eigenes Schickfal und das ihrer Mitmenfchen,
öffnete ihnen unbarmherzig die Augen und zeigte ihnen die Untiefen und
Abgründe, denen ihre Wege zuftrebten. Er zerrte fie heraus aus dem Tanze
um das goldene Kalb, aus fattem Geniefjen, und belehrte fie über den wahren
Wert materiellen Reichtums, „wirtfehaftlicher Blütezeiten"!
In Millionen Menfchen keimte in jenen Jahren grauenvollen Mordens, da der
letjte Sinn alles Seins in Frage geftellt zu fein fchien, eine neue Sehnfuchf auf:
das Sehnen nach Vertiefung des Lebens. Sie alle fäen heute in der Welt die
erften Saaten einer neuen Lebensbefrachtung, fchaffen damit die Grundlagen
einer neuen Kultur. Eine neue, große Ordnung bereifet fich vor, mit dem
vielfach noch unerkannten und durch die Entwicklung der Dinge fich mehr als
durch menfehlichen Willen herauskriftallifierenden Ziele, aus dem Gewirr der
Fäden chaotifchen Weltgefchehens Faden um Faden herauszugreifen und
fäuberlich einzuordnen in jene Webkette, auf der das Gewebe der kommenden
Tage gefchaffen werden foll. Noch vor einem halben Jahrhundert wäre es
kaum möglich gewefen, in den damaligen Enfwicklungsphafen der großen
Arbeitsgebiete menfehlicher Geftalfung etwa in der Literatur, der Mufik, der
Architektur, den freien Künften und des Kunftgewerbes oder der damals
mächtig aufblühenden Induftrie klar hervortretende, gleichgerichtete Wefens-
züge zu entdecken, es feien denn die hoffnungslofer Verworrenheit. Wie
anders haben fich heute die Dinge entwickelt. Wie drängen die Erkenntniffe
heutiger Geftaltung gleichfam nach homogener Zufammmenfaffung! Zunächft
fehen wir allerdings nur zartes Keimen. Von zielbewußter und machtvoller
Zufammenfchließung aller Zweiggebiete modernen Schaffens kann noch nicht
Biid7. zweistöckiger personenomnu I (die Rede fein. Aber fchon ftrömen aus hunderten und taufenden von Quellen,
veHa'ngMchne^e^ I 1 Bächlein und Bäche zufammen, um einft einen neuen, in breitem Bette ficher

rung der Marren. I dahinfliegenden Strom gefchloffener Kultur zu bilden, überall ftofjen wir auf

1 das Beftreben zur Ausmerzung des Schwächlichen, Imifaforifchen, Scheinhaften,
Unwahren, überall bemerken wir zielbewußten Kampf um Kräftigung, kühne
Neugeftaltung, Materialgerechtheif und Wahrheit. Unfere Jugendbewegung
ftrebt nach einer neuen Harmonie von Körper und Geift in enger Anlehnung
an die Natur. Der Sport, vielfach noch auf Abwegen, will letjten Endes, wenn
PERSONEN« FAH RZ Iaucn m" anderen Mitteln, das gleiche Ziel erreichen. Die moderne Frau ift des

ALS AUSDRUCK DER KULTUR | ( unwürdigen Herumfit^ens im Elternhaufe müde und erobert fich mutig und ent-

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