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falber.

WeiSelderg. Sonntag, Den Januar 1841

Das Volksschulwesen in Heidelberg.
Wie schwer cs hält, bis selbst die besten und wohlthätigstcn
Verordnungen und Bestimmungen der Landcsbchörde rcalisirt
werden, wenn den Untcrbehördcn, welchen die Ausführung der-
selben, und die Handhabung der bestehenden Gesetze und An-
ordnungen anvertraut und überlassen ist, an Energie fehlt, läßt
sich aus folgender Darstellung des Heidelberger Volksschulwc-
senS entnehmen.
Es mag für den badischen Schulfreund nicht ohne Inte-
resse sein, wenn er auch dieverschiedeuen Verhältnisse der Volks-
schulen solcher Orte erfährt, von welchen man wegen ihres
Namens, den sie aus anderer Beziehung haben, glauben möchte,
daß sie jedenfalls besser seien, als an andern, die wegen ihrer
geringer» Größe auch großartige Anstalten entbehren; nament-
lich dürfte dieses von den Haupstädtcn unseres Landes gelten,
unter welchen Heidelberg als die 4te gezählt wird, das eine
schon im Jahre 1386 gestiftete blühende Universität besitzt und
14,000 Einwohner zählt.
Es soll nun erst eine kurze Ucbersicht der Heidelberger Bolks-
schulanstaltcn, wie diese etwa einem, mit Heidelbergs sonstigen
Verhältnissen unbekannten Beschauer nach ihrer äußern und in-
ner» Einrichtung erscheinen, folgen, dann die Gründe der ge-
fundenen Zustände entwickelt werden.
Schneller und müheloser übersieht man die kathol. Schulen.
In dem Schulgebäude selbst Anden sich auch, was immer
sein sollte, die schönen und geräumigen Wohnungen des Lehr-
personals. Die Zahl der besuchenden Kinder beläuft sich auf
520, welche in 8 Klaffen, nämlich 4 Knaben-und 4 Mädchenklassen
unterrichtet werden. Zwei Haupt- und 2 Unterlehrcr stehen
den Knabenklassen vor. Die Mädchen werden von 2 Hanpt-
lehrcrincn, einer Unterlehrcrin in den Elementargegenständcn
und von einer Jndustriclchrcrin in weiblichen Arbeiten unter-
wiesen. In den obcrn Klassen wird der Religionsunterricht
von den beiden Vikaren ertheilt und wöchentlich vom Localin-
spcctor zweimal Bibclerklärung gegeben. Der zweite Unter-
lehrer besorgt die He, der itc Unterl. die 2te Knabenklasse
allein. Die obern Knabcnklafsen werden von 2 Hauptlehrcrn
jedoch nach Fächern unterrichtet, welche Einrichtung für eine
Volksschule anerkannt nicht die geeignete ist, und nur noch da
geduldet werden muß, wo nicht jeder Lehrer den Unterricht
einer Klaffe in seinem ganzen Umfang zu übernehmen vermag,
was jedoch von den Lehrern dieser Anstalt nicht leicht vorauS-
zusctzen ist. Die beiden Unterlehrcr besorgen überdies noch
den Gesangunterricht für die Schüler der ganzen Anstalt.
Die Ite Klaffe der Mädchen wird von der Unterlehrcrin
allein unterrichtet; aber die 2te, 3te und 4te Klasse erhalten
von den beiden Hauptlchrerinen Unterricht nach Fächern in
den Schulgegenstäuden und einer Jndustriclchrcrin in weibl.
Arbeiten, und zwar so, daß '/z mal so viel Zeit für die In-
dustriearbeiter! verwendet wird, als für alle andere Lchrgcgen-
stände. Je zwei Klassen haben bei den Hauptlchrerinen Unter-
richt und die andere Klasse zur selben Zeit Industrieschule.
Daß diese Einrichtung die Zeit für die eigentlichen Schulge-
genstände sehr schmälert und darum auch bei der größten An-
strengung das nicht geleistet werden kann, was bei zweckdien-

licherer Einrichtung der Fall wäre oder wenn die Industrie-
schule so gehalten würde, wie cs die hohe Verordnung vor-
schreibt, ist leicht zu begreifen. Indessen sind in den sehr
besuchten Heidelberger Privatlehranstalten für Mädchen doch
sehr wenige schulpflichtige kathol. Mädchen zu finden, was
allerdings beweist, daß die Eltern zufrieden mit den Leistungen
ihrer Elementar- und Industrieschule sind, was wir leider bei
den protestantischen anders finden werden. Uebcrhaupt findet sich
bei dieser Anstalt, Einheit in Klaffeneintheilung, Lehrplan und
Direktion und hierin ein wesentlicher Grund znr Blüthc dieser
Schule, für die jedoch, da nicht Allen Alles recht zu machen
ist, eine nicht gerade vortheilhafte Krisis zu fürchten ist.
Vergebens sieht man sich nach einem gemeinsamen Protest.
Schnlhause um, in dem wenigstens die Schulen vereint, wenn
auch nicht die Lehrerwohnungcn zu finden waren. 2 Klassen
finden sich in Nebengassen der Vorstadt, eine Knabenklasse un-
mittelbar neben dem protestantischen Kirchhofe, etwas hoch
gelegen, an einem Wege, der wegen der unter ihm hinlaufen-
den schlechten Hanptbrunncnleitung fast immer aufgerisscn ist.
2 andere Klaffen haben sich in der Wohnung des protestanti-
schen Stadtpfarrcrs Drcutcl cingemiethet, eine andere in der
Nähe der Universität und endlich die letzte in-der engen Fischer-
gasse. — In diesen weitzerstrentcn nach Raum und Einrichtung
meistens unzweckmäßigen Localen, werden über 600 Kinder
beiderlei Geschlechts von 5 Haupt- und zwei Unterlehrcrn un-
terrichtet. Bon den 2 Unterlehrcrn hat jeder eine Klasse von
100 — 115 Kindern im Alter von 6 bis 8 Jahren gemischten
Geschlechts. Ein Hauptlchrer hat in der Vorstadt eine Schule mit
Kinder im Alter von 6—11 Jahren, ebenfalls gemischten Geschlechts.
Bon den vier übrigen Hauptlehrcrn haben 2 Lehrer 2 Knabenklassen
und 2 Lehrer 2 Mädchenklasscn zu unterrichten. Daß »ter diesen
Umständen schon die uöthige Einheit nicht erreicht werden könne, ist
zwar natürlich, doch begreift man nicht leicht warumder Wirrwarr
in den Klasscnabthcilungcn so gar auffallend hcrvortrctcn muß,
und weder ein Princip nach Alter noch nach Gcschlcchtsab-
thcilungcn fest gehalten sei, und so dem Lehrpcrsonale, in wel-
chem man ohnedies noch mitunter Männer antrifft, denen man
selbst nach 35 — 40 Dienstjahren noch nicht die ersehnte und
wohlverdiente Ruhe gönnen will, die saure Arbeit noch unend-
lich erschwert werde. Die nöthige Aufsicht ist durch die Zer-
streutheit erschwert und mnß so den eifrigsten Mann ermüden.
ES ist nun leicht zu begreifen, daß die Protest. Volksschule ih-
ren Kredit verlieren mußte. Wer nur immer von Protestanten
cs vermag, schickt seine Knaben in die höhere Bürgerschule,
auch wenn er keine- besondere Ausbildung beabsichtigt und
seine Mädchen in die schon erwähnte Privatinstitute, die
für künftige Bürgersstancn beziehungsweise zu viel oder zu
wenig leisten, weil sie doch meistens für Erziehung und Bil-
dung höhcrn Ständen angehörendcn Kindern errichtet sind.
Ist aber schon der Mangel eines gemeinsamen Schul-
locals, dessen kaum die dürftigste Landgemeinde entbehrt, in
einer solchen Stadt auffallend, so muß cS noch mehr in Er-
staunen setzen, wenn man hört, daß bei der cv. Protest. Volksschule
noch keine Industrieschule wie deren doch schon vor 25 Jahren
in den meisten Landcsthcilcn des Großhcrzogthums eingeführt
wurden, besteht, und so manchem armen Kinde seine Zukunft
 
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