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I. S. Wolff,


WciSelderg. Mittwoch, dm SV"' Januar 1841.

Frankreich nnd Deutschland.
<Sct>luß.>
Ja trotz aller jener schändlichen, gotteslästerlichen Ueber-
treibungen, die das Zeitalter Voltaire's über Frankreich und
die Welt gebracht hat, Uebertreibungen, die nicht geläug-
net werden sollen, von denen man sich entschieden abzuwen-
dcn hat, trotz aller dieser Uebertreibungen ist doch, will man
anders gerecht seyn, anzuerkenncn, daß Frankreich es war,
dem wir unsern neuen Frühling, unsern Eisgang verdanken.
Menschlich sühlen lernten wir erst wieder durch jene phi-
lantropischen Ideen. Sie haben den Augiasstall der He-
renprozesse, des widerlichen Pricsterthums, des Fanatismus
und des Verketzerungswesens, der Schulmeistertyranneien,
der M6NU8 plair-irs der Höfe, der Tortur, der Beamten
Hoch- und Demuth, des Kastengeistes und der Krähwin-
kels, des ganzen Junker- und Spießbürgerthums ausge-
räumt, sie haben weggespült, was alles so unchristlich und
unpatriotisch war und wieder eine freie menschliche Basis
gegeben. Freilich sind Toleranz und Aufklärung nur ne-
gative Begriffe, sie sind nur die Abwesenheit des Pric-
sterdruckS und der Geistes- und Standesvorurtheile. Aber
sie sind die glücklichen und mächtigen Hebel geworden, daß
wieder etwas tüchtig Positives auf jener Basis, die sie
schufen, gebaut werden konnte, was vorher unmöglich war.
Man scheint heut zu Tage ganz übersehen zu wollen,
daß die beiden größten politischen Gestalten des 18ten Jahr-
hunderts in Deutschland, Friedrich II. von Preußen und
Joseph II. von Oestreich cs waren, die gerade jene philan-
trvpischcn Ideen dazu benutzten, um eine wohlthätige
Reform in deutschen Staaten zu begründen. Stand
nicht Friedrich II. namentlich ganz auf französischer Cultur?
Waren die deutschen Worte: „Ich will, daß Jedermann in
meinen Staaten nach seiner Fa^on soll selig werden können"
nicht eigentlich französische? Und gebrauchte er nicht die Preß-,
freiheit, die er seinen Unterthanen gewährte, als Waffe
gegen minder aufgeklärte Regierungen, namentlich Oestreich,
und zu so bedeutendem Vorschub des preußischen Staats?
Ferner: wem verdanken wir die ersten constitu-
tionellen Verfassungen, die aus dem deutschen Win-
ter schüchtern in die Tagcshelle herauStraten, jene ersten
Constitutionen, die in Süddeutschland in Bayern, Würtem-
berg, Baden eingeführt wurden, wem anders, als dem
Stoße der französischen Revolution und jenes französischen

Imperators, der ihr Halt gebot, und der erst unser großer
Freund und dann unser großer Feind war? Haben nicht
selbst die Staaten des ehemaligen Königreichs Westphalen,
die ein französisches Gouvernement unter dem König Je-
rome eine Zeit lang besaßen, haben nicht Hessen und Han-
nover in Entfaltung einer kräftigen Nationalität sich geho-
ben — durch die Franzosen? Zu Seelenverkäuferei, wie
vor der französischen Revolution, wird es da nicht wieder
kommen.
Ich dächte, diese Thatsachen wären hinreichend, uns
von dem Standpunkte des Hasses auf den einer ruhigeren
Betrachtung, einer Anerkennung des mannichfachen Guten,
was nusre Nachbarn auch beim mannichfachen Schlimmen
doch auch haben, zu bringen.
Es ist wahr, es ist eine gräuliche Animosität in Frank-
reich, die sich mit Schüssen auf die Person des
Königs Luft macht. Aber haben wir ähnliche Symptome
nicht auch in dem gesetzten England gesehen? Haben die
kühlen Amerikaner nicht auch in ihrem Congreßsaal zu
Washington einander nach Leib und Leben gestanden? Soll,
was einzelne Eraltirte thun, dem ganzen Volke zur Last
gelegt werden? Oder der Regierungsform? Sind im
monarchischen Frankreich nicht zwei Könige hinter einander,
Heinrich III. und IV. ermordet worden? Kennt man nicht
das Attentat von Damiens gegen das Leben Ludwigs XV. ?
Wie viel Könige sind in England zur Feudalzeit ge-
waltsam umgebracht worden, jene Plantagenets Eduard II.
und Richard II. im l/iten Jahrhundert, Heinrich VI. von
Lancaster und Eduard von Pork im Kampf der Rosen im
löten? Und auch bei uns ist Königsmord vorgekommen.
Wer kennt nicht den unglückseligen Tod des Hohenstaufen
Philipp am Schachbrett durch den Pfalzgrafen von Wittels-
bach? Die That Sand'S gegen Kotzebue ist ein neueres
Ergebniß des politischen Fanatismus in Deutschland, wenn
auch nicht gegen einen König.
Allerdings sind jene fanatischen Gesinnungen in Frank-
reich noch die schrecklichen Nachwchen aus der Zeit der Ue-
bertrcibungen des Berges und RobeSpierre's. Nach und
nach wird sich das abkühlen, wie eS sich in England ab-
gekühlt hat, wo doch zur Zeit der ersten Revolution, die
der Puritaner Cromwell beschloß, auch ein gar arger po-
litischer Fanatismus im Schwange ging, nur mit dem Un-
terschiede, daß er in England eine scheinheilige Farbe trug,
 
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