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I. S. Wolff.


Meidelberg. Sonntag, den S4"« Mnuar L84L.

Frankreich und Deutschland.
kForrsetzung.l
Aber Übertreiben wir Deutsche« nicht auch die Tugend
unserer Ruhe? Wurde diese Ruhe nicht zuweilen Schlaf
und rechter fester, tiefer Schlaf? Was haben wir Großes
gethan seit jener größten stillen That der Reformation, die
unser immerwährender Ruhm bleiben wird? Im 17. Jahr-
hundert haben wir den 30jährigen Kampf zweier großer
Rcligionspartcicn gehabt, die sich hätten lieben sollen, statt
sich zu morden, wenn sie Christen scyn wollten, und Frank-
reich beutete uns aus und nahm uns nach einander das Elsaß
und Strasburg und Lothringen weg, während Oestreich ruhig
zusah, oder gar mit Frankreich heimlich verbündet war, wie
das neuerdings erschienene Buch von Guhrauer „über
Kurmainz in der Periode von 1672" nachweist. Im 18.
Jahrhundert dann hatten wir die Erbfolgekriege und den
7jährigen Krieg, wo die zwei größten deutschen Fürsten,
die stets verbunden seyn sollten, sich bekriegten, und
England versorgte uns während dem mit seinen Maaren und
nahm uns unser Geld aus der Tasche. Wahrlich wir schliefen
im 17. und 18. Jahrhundert einen kostbaren Schlaf und
nur die französischen Donner der Revolution und Napoleons
weckten uns aus demselben. Vergessen wir also nicht ganz,
daß wir den unruhigen Franzosen doch etwas zu verdanken
haben. Es ist ja seitdem um Vieles besser mit unsrer
Schläfrigkeit geworden.
Man ist aber auch in Deutschland eingenommen gegen
die Franzosen, weil sie die Republik wollen. Ich glaube
das nicht, ich glaube vielmehr, sie wollen blos „einen Thron
mit republikanischen Institutionen" und den hat ihnen Louis
Philipp versprochen. Ich weiß nicht, ob er eS gehalten hat,
sein Versprechen, aber ich weiß, daß in allen Negierungs-
formen, wie Göthe sagt, „Freiheit und Knechtschaft
polarisch eristiren." Er sagt dies in seinen „Noten
und Abhandlungen zum bessern Verständniß deö wcstöstlichen
Divan" und erklärt sich darüber also: „Steht die Gewalt
bei Einem, so ist die Menge unterwürfig, ist die Gewalt Lei
der Menge, so steht jeder Einzelne im Nachtheil, dieses geht
denn durch alle Stufen durch, bis sich vielleicht irgendwo ein
Gleichgewicht, jedoch nur auf kurze Zeit finden kann.
(Hier ist Göthe im Jrrthum: England beweist gegen ihn und
die Vereinigten Staaten.) Dem Geschichtsforscher ist es kein
Geheimniß, in bewegten Augenblicken des Lebens jedoch kann

man darüber nicht ins Klare kommen. Wie man denn nie-
mals mehr von Freiheit reden hörte, als wenn eine Partei
die andere unterjochen will und es auf weiter nichts ange-
sehen ist, als daß Gewalt, Einfluß und Vermögen aus einer
Hand in die andere gehen sollen.
Man sieht also, cS handelt sich auch hier in dem Punkt
der Regierungs-Formen nur um Vermeidung von Ueber-
treibungen, die das „Gleichgewicht" verhindern, das
Gleichgewicht, welches schon der feine Macchiavelli in
seinen visoorsoi für die beste NegierungSform hielt, und
was gerade Locke und Montesquieu mit dem Ausdruck
„ Theilung der Gewalten " zu fassen und näher zu entwickeln
versuchten. Da die drei genannten Männer Ausländer sind,
so will ich noch eine deutsche Autorität anführen, um meinen
Satz zu gründen, daß nur Uebertreibungen wie der National-
Eigenschaften, so auch der Regierungsformen und Maximen
vom Uebel sind und daß wir auch nur diese bei Bcurtheilung
der Franzosen in'S Auge zu fassen haben, im Ucbrigen aber
ihren notorisch nützlichen Eigenschaften im Getriebe der Welt-
geschichte Anerkennung wiederfahrcn lassen müssen. Diese
Autorität ist der große Leibnitz, ein sehr weiser Mann und
vielleicht noch „ sachdenklicher" als Göthe, größer als Locke
und Montesquieu und Macchiavelli zusammen. Leibnitz
schreibt an Burnet, den berühmten Bischof von Salis-
bury, bei Gelegenheit der Bcurtheilung der Frage zwischen
den TorieS und Whigs (Lpitis 6.):
„Nur die Uebertreibungen (Io8 crxtrömitks) sind zu ver-
werfen. Die Gemäßigten von beiden Parteien werden sich
sehr leicht verständigen.
So Leibnitz. Ich komme nun nach Feststellung deS
Standpunktes, aus dein man die Sachen zu beurtheilen
hat, wieder auf mein Hauptthema: „Von Haß und Liebe
der Völker" zurück. Ich bin nämlich der Meinung, daß
man keinen Menschen, also auch die Franzosen nicht zu
hassen hat, sondern nur ihre Uebertreibungen, zu denen sie
das Quecksilber der Beweglichkeit, die Nationaleitelkeit und
die Liebe der Kloirg, ihres leidigen Hauptphantomes ver-
leitet, daß man aber im Uebrigen ihre guten Eigenschaften
und ihre nützliche Stellung in der Reihe der europäischen
Staaten anerkennen muß, wenn man nicht blind, unge-
recht und undankbar seyn will.
Frankreich ist die Unruhe in der europäischen Staaten-
uhr. Die Fäulniß deS Contincnts und namentlich Deutsch-
 
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