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Vridl-lbci-a. Mittwoch, den SO'" A-immr 1841

Frankreich nnd Deutschland.
In Folge der Bewegungen, welche die Quadrupel-
allianz über die orientalische Sache in Frankreich hcrvorge-
bracht hat, in Folge der Kriegeslust, die man dort fast
überall laut werden gesehen, hat sich auch in Deutschland
eine sehr gereizte Stimmung gegen die Franzosen kund ge-
geben, und die deutschen Zeitungen sind wenigstens zum
großen Theil geschäftig gewesen, diese Stimmung im Flusse
zu erhalten, ja zu steigern.
Die Franzosen wollen an den Rhein und
,/wir lassen ihnen nicht den freien deutschen
Rhein", das ist die fast allgemeine Stimme.
Und eine sehr löbliche Stimme, denn sie zelgt, daß in
Deutschland ein Gefühl feste Geltung und festen Platz in
den Herzen wieder zu gewinnen anfängt, welches seit dem
westphälischen Frieden, der unser deutsches Gemeinwesen
zerriß und auscinanderbröckelte, fehlte und nur etwa in
den Befreiungskriegen eine schöne Flamme leuchten ließ, die
aber indeß gar bald wieder verglomm.
Deutschland vergaß, waS uns Frankreich angethan
hatte. Es ist ein Hauptvorzug im Charactcr der Deut-
schen, daß sie so gern Unrecht vergessen, das sie erfahren
haben. Jedermann weiß, mit welchem Anthcil man seit-
dem in Deutschland die Behandlung ansah, die den Fran-
zosen durch die rcstaurirten Bourbonen zu Theil wurde.
Jedermann weiß, mit welcher Sympathie man die endliche
Befreiung dieser Franzosen aufnahm, und welche Folgen
diese letzte große Reaction der Freiheit in Frankreich vom
Jahre 1830 auch in Deutschland gehabt hat. Und diese Sym-
pathie für unsere Nachbarn über dem Rhein, die allerdings so
gegründet war, dauerte bis in die neueste Zeit im Allge-
meinen fort. Jetzt auf einmal springt sie um und es lassen
sich von verschiedenen Seiten Stimmen des Hasses ver-
nehmen gegen die unruhigen Nachbarn.
Sind wir hier ganz im Klaren und ganz im Rechten?
Ich wiederhole, daß es nur erfreulich und erhebend ist,
daß der deutsche Patriotismus sich nachdrücklich ausspricht,
daß die öffentliche Meinung in Deutschland sich erhebt und
daß man mit aller Energie erklärt, die etwa projcctirtcn
Griffe der Franzosen nach unfern Rhcinprovinzen nicht ruhig
geschehen lassen, sondern ernstlichst abwehren zu wollen. Das
ist die ruhige Erklärung dessen, dcr^'gerechte Sache hat.
Dürfen wir aber einer leidenschaftlich gereizten
Stimmung gegen stmsere Machbar» Flaum und Sprache

geben, wie sie hie und da laut geworden ist, dürfen wir
Gefühle des Hasses in unsere Herzen nehmen und sie in
scharfen, bitteren Worten über den Gränzstrom hinüber-
senden? Müssen diese geharnischten Worte nicht die gereizte
Stimmung drüben noch mehr reizen, gießt man damit nicht
Oel in die Flamme? Oder glaubt man, indem man einer
im Punkte der Ehre so übertrieben reizbaren Nation, wie
die Franzosen sind, so gleichsam den Krieg erklärt, damit am
füglichsten den Frieden zu erhalten? Denn ich setze voraus,
daß wir Deutschen darin einig sind, daß wirdenFrieden
erhalten, weil der Krieg jedenfalls ein schweres Uebel ist
und namentlich für uns von unberechenbar traurigen Folgen
seyn würde. Welche gewaltsame Störung würde, um unter
Vielem nur Eines zu erwähnen, was den Augen am nächsten
liegt, unser seit dem Zollverbande ausblühendes Industrie-
leben erfahren, diese erste Nationalunternehmung nach der
200jährigen Kleinstaaterei? — es würde in seinen ersten
Keimen zerdrückt werden zur Freude jenes Albions, das lange
Zeit allein kräftig und rührig in Europa war und das mit
Besorgniß auf Deutschland blickt, das so lange Zeit sein
bester Abnehmer war. — Und dann: "Krieg befördert alle-
mal Despotismus." Das muß jeder in der Weltgeschichte
lesen', der nur zu lesen versteht. Wo blieb die Freiheit in
Frankreich bei Napoleons Kriegen, die doch zugleich lauter
Siege waren?
Denken wir stets daran, daß wir erst Menschen waren,
ehe wir Bürger wurden: die Menschenliebe steht vor der
Vaterlandsliebe, der CoömopolitiSmuS vor- dein Patriotis-
mus. Soll der Mensch den Menschen lieben, so sollen es
auch Völker gegenseitig thun. Völker sollen sich nicht
hassen und morden, Völker sollen sich achten
und lieben. Kein Volk hat lauter Fehler oder lauter
Tugenden, die Mängel und die Vorzüge sind unter alle
gemischt vertheilt, was das eine hat, mangelt dem andern.
Waö bei den Franzosen ein Nationalfehler ist, die Unruhe
und die Neuerungssucht, ein Fehler, den schon Cä-
sar an ihnen fand, als er mit seinen Legionen sie heim-
suchte, das ist bei uns eine Tugend, wir sind ruhig und
dem gewohnten Alten zugethan, aber schon Tacitus erzählt
von der Bärenhaut der Germanen. Die Unruhe der Fran-
zosen hat für die Entwickelung der Geschichte der Völker, wenn
man sie im Großen auffaßt, eine wesentlich wichtige Seite:
sic sind das Volk des Fortschritts, der Vorposten der Freiheit.
Nur ihre Ucbertreibungen, die sie sich hierbei zu Schulden
kommen ließen, sind zu verwerfen. (Forts, folgt.'»
 
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