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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (2. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Wissenschaft und Kunst des Klosters
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Blume, Clemens: Reichenau und die Marianischen Antiphonen: ein Exkurs über die Federprobe "Salve Regina Misericordiae" in der Reichenauer Handschrift LV
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https://doi.org/10.11588/diglit.61011#0221

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spiele folgte bald das Römische Brevier und
von da an lebten diese vier Antiphonen im all-
gemeinen kirchlichen Gebrauche weiter bis auf
unsere Tage, während alle anderen einst so zahl-
reichen Marianischen Antiphonen längst aus der
Liturgie verschwunden sind.
Unter diesen vier bevorzugten Antiphonen sind
das ,Salve regina' und das ,Alma redemptoris‘
die hervorragendsten, schon durch ihr Alter. Das
,Ave regina caelorum' nämlich ist erst in einer
Handschrift des 12. Jahrhunderts nachweisbar
und das »Regina caeli laetare' in einer solchen,
die eher dem beginnenden 13. als dem ausgehen-
den 12. Jahrhunderts zuzuschreiben ist (Cod.
Archiv! St. Petri in Vaticano B 79). Die An-
tiphonen »Salve regina4 und ,Alma re-
demptoris‘ hingegen reichen ins 11. Jahrhun-
dert, in die Zeit der erst emporsprießenden Ma-
rianischen Antiphonen; sie sind wahrscheinlich
die ältesten und ersten Vertreter die-
ses Literaturzweiges der Liturgie.
Die ehrwürdige Abtei Reichenau darf mit wohl-
begründetem Rechte beanspruchen, als Ursprungs-
stätte dieser berühmten Marienlieder angesehen
zu werden. Von der stillen Klosterinsel im Bo-
densee aus nahm diese beliebte Art des täg-
lichen offiziellen Lobpreises der Gottesmutter
ihren Siegeslauf durch die Kirche des Abend-
landes. Hermann d. L. hat uns ihren Text
und ihre Melodie als musikkundiger Dichter,
neben manchen schönen Sequenzen, geschenkt.
Zu dieser Annahme drängen verschiedene Um-
stände, über die zuerst W. Brambach in sei-
ner Schrift ,Die verloren geglaubte Histona
de sancta Afra martyre und das Salve regina
des Hermannus Contractus, Karlsruhe 1892' un-
terrichtet. (Vgl. Analecta Hymnica von Blume
und Dreyes L, 308 ff. und H. T. Henry in der
Catholic Encyclopedia XIII. 409 f.).


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REICHENAU UND DIE MARIANISCHEN ANTIPHONEN
X p. CLEMENS BLUME S. J. / MÜNCHEN
EIN EXKURS ÜBER DIE FEDERPROBE »SALVE REGINA MISERICORDIAE' IN DER REICHENAUER HANDSCHRIFT LV.
Eine besondere Bedeutung für
die Liturgie erhielt Reichenau durch
die beiden Marianischen Antiphonen , A1 m a
redemptoris mater‘ und , Salve re-
gina misericordiae', letztere später um-
geändert, nicht zum Vorteile, in ,Salve regina,
mater misericordiae4; auch der Schluß er-
hielt eine rhythmisch nicht günstige Erweite-
rung: ,O clemens, o pia, o dulcis (virgo)
Maria'.
Bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts waren allen
Anzeichen nach überhaupt keine Marianischen
Antiphonen in Gebrauch. Wohl weist der Cod.
Sangallen. 413, ein St. Galier Brevier aus dem
Übergänge vom 10. zum 11. Jahrhundert, auf
Fol. 173 eine Gruppe von Antiphonen auf, deren
eine unmittelbar an die Gottesmutter gerichtet
ist, nämlich: Virgo, Dei genetrix, quem totus
non capit orbis, / In tua se clausit viscera etc.
Das ist jedoch eine vereinzelte Erscheinung un-
ter jenen St. Galier Antiphonen, die als« ,An-
tiphonae de Nativitate Domini4 bezeichnet
sind; und in der Liturgie erscheint die genannte
Antiphon unter Erweiterungen und Umdichtun-
gen später nur noch als Hymnus.
Der eigentliche Beginn der Marianischen
Antiphonen als solcher datiert vom vollen 11. Jahr-
hundert. Von da an werden sie beliebt, sehr be-
liebt, und wir begegnen zahlreichen derselben
teils in gebundener, teils in ungebundener Sprache.
Vier unter ihnen erhielten eine besondere Aus-
zeichnung, nämlich die zwei oben erwähnten und
das ,Ave regina caelorum' nebst Re-
gina caeli laetareh Die Franziskaner näm-
lich wiesen in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts diesen vier Antiphonen einen offizi-
ellen Platz an in ihrem Breviere, wie uns
Wadding in seinen Annales Minorum zum Jahre
1249 mitteilt (ed. 1647, I p. 703). Diesem Bei-
 
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