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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (2. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Wissenschaft und Kunst des Klosters
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Künstle, Karl: Die Theologie der Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61011#0103

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DIE THEOLOGIE DER REICHENAU
PROF. DR. K. KÜNSTLE/FREIBURG I. BR.

An theologischen eigenlei-
stungen ist die Zeit, für welche Reichenau
als Sitz der Kultur und Bildung in Betracht
kommt, im ganzen Bereich der abendländischen
Kirche arm. Man schrieb wohl fleißig die Schrif-
ten der Väter ab und sammelte sie als Unter-
richtsbücher für die Klostergenossen in kostbaren
Handschriften. Selbständige schriftstellerische
Arbeiten aber begegnen uns fast nur in der Form
von Heiligenleben und Translationsberichten, die
in ihrer sprachlichen Form starke Abhängigkeit
von den Heiligenbiographien der früheren Zeit
erkennen lassen. Auch in der Verskunst übte man
sich und verfaßte Gedichte religiösen und pro-
fanen Inhaltes, zumal in der Zeit, als sich der
Einfluß der Schule Alkuins geltend machte. Aber
auch hier werden ganze Satzgefüge aus Virgil,
Prudentius und anderen Dichtern der Frühzeit
entlehnt. An theologische Abhandlungen und Dar-
stellungen, für die man bei den Vätern weder den
gedanklichen Inhalt noch die sprachliche Form
fand, hat man sich nur in ganz seltenen Fällen
gewagt. Als in der Mitte des 11. Jahrhunderts
mit dem Aufkommen der Frühscholastik eine
neue Blütezeit auf dem Gebiete der Theologie
einsetzte, begann aber der Stern der Reichenau
bereits zu sinken.
Oder schätze ich die literarische Tätigkeit des
Inselklosters damit nicht zu gering ein, da schon
sein Stifter eine viel beachtete theologische Ab-
handlung, den sog. Scarapsus, verfaßt hat? Nach
meiner Auffassung, die ich an anderer Stelle
näher begründen werde, hat dieser Missions-
katechismus für Glaubensboten unter romani-
scher Bevölkerung mit dem Stifter von Rei-
chenau nichts zu tun. Pirmin war überhaupt
kein Gelehrter, sondern wie Bonifatius ein Or-
ganisator ; und die Klöster, die ihn als Reformator
und zweiten Gründer verehren, wie Schuttern,
Gengenbach, Schwarzach, Hornbach, sind niemals

Stätten gelehrter Bildung geworden. In diesem
rein monastischen Sinn schien sich auch Rei-
chenau gestalten zu wollen, bis es Abt W a 1 d o,
dem Freunde Karls d. Gr., gelang, in Hatto und
Reginbert Männer von wissenschaftlicher Bildung,
die auf Reichenau eine blühende Schule und eine
einzigartige Bibliothek schufen, zu gewinnen.
Hatto, ein Freund und Verwandter des großen
Waldo, hat es verstanden, in kurzer Zeit einen
ganzen Stamm von jungen gelehrten Mönchen, die
neben und nach ihm als Lehrer im Inselkloster
wirkten, um sich zu versammeln. Ihnen konnte er,
als er im Jahre 806 Abt des Klosters und Bischof
von Basel geworden war, getrost das Schulwesen,
das er in Blüte gebracht hatte, überlassen. Hatto
kommt als theologischer Schriftsteller zunächst
als Verfasser von 25 Canones in Betracht, die
er für seine Diözese Basel erließ.1) Wenn diese
Statuten sich im ganzen auch nicht von ähnlichen
Verordnungen unterscheiden, die eine Reihe ande-
rer Bischöfe des fränkischen Reiches um diese
Zeit erließ ,so blickt doch der strenge Mönchs-
geist, der unseren Abtbischof erfüllte, aus einigen
Forderungen dieses Diözesanstatutes aus dem
Anfang des 9. Jahrhunderts. So wird den Geist-
lichen verboten, auch auf der Reise ein Wirts-
haus zu besuchen; sie sollen sich die Speisen
in ein Privathaus bringen lassen. Ferner ver-
ordnet Hatto, daß Leute, die aus Devotions-
gründen eine Reise nach Rom unternehmen, nicht
dort, sondern zu Hause ihrem eigenen Bischof
oder Priester ihre Sünden beichten sollen. Wert-
voll ist die in Canon VIII mitgeteilte Festtags-
ordnung. Wenn M. Metzger2) mit Bezug auf
diese Statuten in Hatto den eifrigen Verbreiter
der römischen Liturgie erkennen will, so vergißt
er, daß diese in Alemanmen schon längst ein-
geführt war und unbestritten herrschte.
Kleine Geister hieben bekanntlich am Amte und
halten sich für unersetzlich. Nicht so Hatto; be-
 
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