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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (2. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Wissenschaft und Kunst des Klosters
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Preisendanz, Karl: Aus Bücherei und Schreibstube der Reichenau
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Längin, Theodor: Altalemannische Sprachquellen aus der Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61011#0057

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AUS BÜCHEREI UND SCHREIBSTUBE DER REICHENAU
PROFESSOR DR. KARL PREISENDANZ / KARLSRUHE

Gleichgültig, achtlos mag
das Auge des Laien die Reichenauer Hand-
schriften des 9. Jahrhunderts durchfliegen; mag
es nirgends haften — da plötzlich stößt es auf
eine Schrift, die in eigenartiger Eleganz und fast
fränkischer Grazie unwillkürlich, unbedingt bannt
und zu restlosem Bewundern begeistert. Eine
Schrift, die in so schlanker, zierlicher Anmut nie
wieder vergessen kann, wer sie auch nur kurz ge-
streift: es ist die Hand Reginberts, des ersten
wenigstens bei Namen und Werk faßbaren Rei-
chenauer Klosterbibliothekars.
Reginbert, der Knechte Gottes Knecht, un-
würdiger Schreiber — wer war, woher stammt
er? Keine Überlieferung antwortet. In seinem
Werk nur steckt seine Persönlichkeit. Daß er
einmal einen Bruder nennt, Wano, der ihm einen
Donatus schenkte, und einen Neffen Ratherius,
dem er diese Handschrift lieh — was nützt uns
das? Vermutlich kam er mit seinen Verwandten
aus keinem schlechten Haus; in der Reichenau
hielt man auf vornehme Geburt: in seinen Kreis
gehören Erlebald, Wetti, Tatto, Walahfrid. Und
eine Persönlichkeit muß er gewesen sein. Mit Fe-
der und Buch allein erzieht man keine Schüler zu
so markanten Berühmtheiten.
Und hatten seine Schüler so heiligen Respekt vor
ihrem Magister wie Walahfrid, der eines seiner
Bücher nur auf den ,strengen Befehl Reginberts4
schrieb, und bewundernde Liebe wie Grimalt und
Tatto, so mag er männliche Zielbewußtheit und
liebreiche Menschlichkeit in seiner Natur getra-
gen haben. Er hat wohl die Gabe der überzeugen-
den Bitte besessen; die vielen Buchspender, die
seine Kataloge nennen, haben gewiß zunächst für
ihr Seelenheil gehofft, wenn sie der Kloster-
bibliothek schenkten, aber schwerlich war dabei
der Bruder Bibliothecarius ganz ihren Gedanken
fern.
Ein Buch bedeutete damals Besitz. Viele schenk-

ten ihm persönlich, er dem Kloster. ,Wano, mein
Bruder, hat mir das Buch geschenkt; ich hab es
meinem Neffen Ratheri geliehen, wünsche aber,
daß es zu unseren übrigen Büchern komme' . . .
So wuchs der Bestand, den er überkam, an-
sehnlich in dem halben Jahrhundert seiner Tätig-
keit. Die spielte sich ab unter vier Äbten: 786
bis 842. Da der erste, Waldo, 786—806 re-
gierte und Reginbert nicht schon bei seinem An-
tritt Bibliothekar gewesen sein muß, läßt sich
die Zahl seiner Amts jähre nicht genau festlegen.
Wie alt er wurde, wo er studierte — gerne wüßte
man’s. Gestorben ist er als Presbyter am 9. Mai
847. So die Nachricht bei Johannes Egon. Wenn
ihn 30 Jahre vorher seine Schüler Tatto und Gri-
malt kurz nach 817 schwärmerisch als ,Blüte der
Jugend, schön in lieblicher Gestalt' andichten, so
heißt das wohl nur: Reginbert war damals noch
jung; die Schönheit geht auf Kosten eines poeti-
schen Zitats. Aber schließlich, warum soll es auf
Reichenau nicht auch gut aussehende Bibliothe-
kare gegeben haben? Mag die Floskel recht be-
halten !
War er damals etwa Dreißiger, so kann er gut
noch unter Abt Waldo tätig gewesen sein. Ge-
lernt hat Reginbert wohl auf der Insel; studiert
wird er anderswo haben. Wohl führt er eine prä-
destinierte Kalligraphenhand. Aber auch sie for-
dert Ausbildung, Kultur. Und welches der älte-
ren Schriftwerke der Reichenau trüge die Züge,
die zu sagen erlaubten: hier suchte et sein Vor-
bild? Daß begabte junge Mönche des Klosters
auf Studienreisen gingen, wissen wir. Und wenn
Reginbert so manche Spuren mit den Klöstern
Frankreichs verbinden, man möchte seine Lern-
jahre gerne dorthin verlegen. Jedenfalls beginnt
für uns die Kenntnis seiner bibliothekarischen
Wirksamkeit mit dem Jahre 821: damals ent-
stand der erste uns bekannte Reichenauer Biblio-
thekskatalog : »Verzeichnis der Bücher im Kloster

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