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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (2. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Beyerle, Konrad: Das Reichenauer Verbrüderungsbuch als Quelle der Klostergeschichte
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DAS REICHENAUERVERBRÜDERUNGSBUCH
ALS QUELLE DER KLOSTERGESCHICHTE
PROFESSOR DR. KONRAD BEYERLE/MÜNCHEN

DER GESCHICHTSFORSCHUNG DER
alten Reichenau galt deren ehrwürdiges Ver-
brüderungsbuch bislang als ein Buch mit sieben
Siegeln, seinem erhabenen Vorbild in den Ge-
sichten der Geheimen Offenbarung nicht unähn-
lich. Es enthielt, wie es das ,Buch des Lebens4
nach der Apokalypse soll, nur Namen, endlose
Namenreihen. Ein Wonnsal für den Sprach-
forscher, aber nichts als Namen, keine einzige
Jahrzahl dabei; man hat der Namen an 40000
gezählt. Wie sollte es möglich sein, in diese)
Namenreihen auch da, wo sie das Kloster selbst
betreffen, eine feste Ordnung zu bringen! Zwar
hatte Piper, der Herausgeber des Reichenauer
Verbrüderungsbuchs in den Monumenta Germa-
niae, mit Aufwand von viel Fleiß die geistlichen
und weltlichen Großen des Frankenreichs, die
im Verbrüderungsbuch zahlreich begegnen, im
einzelnen nachzuweisen sich bemüht, und auch
die allgemeine Geschichtsforschung des karo-
lingischen Zeitalters hat viele Daten des Ver-
brüderungsbuches zu verwerten gewußt. Daß
der früheste Eintrag des lebenden Konvents der
Reichenau, der eine der ersten Seiten der Hand-
schrift füllt, uns als die Mönchsgemeinde des
Abtes Erlebald (823—838) überliefert ist, ha-
ben Schulte u. a. wohl gesehen. Aber von einem
Versuch, die toten Namenreihen wirklich zum
Reden zu bringen und sie damit für die Ge-
schichte der Abtei Reichenau fruchtbar zu ma-
chen, ist nichts zu verspüren.
Auch hier mag beim Vergleich der St. Galier
Überlieferung die Reichenauforscher Verzagtheit
befallen haben. Dort in St. Gallen ein glänzen-
des Urkundenmaterial und ein Profeßbuch, das
seit den Tagen Karls d. Gr. in lückenloser Ge-
schlossenheit die Namen der St. Galier Mönche,

von diesen eigenhändig eingetragen, darbietet.
Hier in Reichenau fast keine Urkunde und auch
keine Profeßliste.
So wähnte man!
Ein ernsthaftes Beginnen, die Kultur der alten
Reichenau zu schildern, konnte trotz des Drän-
gens der Zeit am Reichenauer Verbrü-
derungsbuch nicht achtlos vorübergehen. Die
Mühe wurde belohnt. Das Verbrüderungsbuch
erwies sich rasch als die wichtigste Quelle
zur Klostergeschichte in karolingi-
scher Zeit; auch für die folgenden Jahrhun-
derte enthält es bei der sonstigen Nachrichten-
armut doppelt wertvollen Stoff. Es war freilich
unmöglich, im gesteckten Rahmen von Zeit und
Raum alles für die Klostergeschichte heraus-
zuholen, was für dieselbe aus dem Verbrüder
rungsbuch zu gewinnen ist. Das aber mußte hier
geboten werden: eine kurze Schilderung der Ent-
stehung und des Aufbaus des Denkmals, sowie
eine Würdigung seiner Gesamtbedeutung für Ge-
schichte und Kultur des Klosters. Und eine,
allerdings eine Hauptseite seiner Problematik
durfte nicht nur angeschlagen, mußte vielmehr in
gründlichere Arbeit genommen werden. Wir wol-
len als Kulturbild der alten Reichenau nicht nur
Steine, Farben und totes Pergament auf uns wir-
ken lassen; wir verlangen nach pulsierendem
Leben. Wir wollen die Mönchsgeschlechter einer
Längstvergangenheit hennenlernen, sie bei Namen
nennen, sie in die geschichtlichen Räume der
reichbelebten Klostergeschichte einordnen. So
werden wir die Großen der Reichenau im Kreise
ihrer Mönchsgenossen als kraftvoll wirkende Per-
sönlichkeiten ganz anders ahnen und erfühlen, als
wenn sie nur, wie Alpengipfel aus der ver-
schwimmenden Linie des Hochgebirges, uns in

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