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G. Dahlke:
vollen Bilde weidet, ohne tiefer in den Sinn der Offenbarung zu dringen, des
Mannes Ungewissheit über die Bedeutung der Erscheinung, die ihn mit leiser
Ahnung ihres Inhalts erfüllt und die Klarheit des Weisen, dem der geistige
Gehalt des Wunders aufgeschlossen ist — in scharfen Zügen unterschieden,
dagegen gibt das feine Oval der Madonna von dem innern Leben und Weben
nur einen unbestimmten Schattenriss, der nicht minder als des Kindes wunder-
samer Kopf auf Pacher’s Mitarbeiter an den innern Flügelbildern seines grossen
Altars weist.
Vor dem Giebel des durchlöcherten, mit Stroh gedeckten Daches schweben
auf luftigen Wolken singende Engel, die in flatternder Gewandung, mit rothen
und grünen Stolen, eine Notenrolle in den Händen, ihre Lockenköpfchen zu
einander neigen und, ohne Schönheit der Züge, wie ohne Feinheit der ge-
hobenen Flügel, durch leichte Bewegung ihrer Lichtgestalten der Scene nicht
geringe Anmuth verweben.
Deutlicher als bei der Königsgruppe hat der Maler in der heiligen Fa-
milie die Senkung der Köpfe nach dem Kindlein durchgeführt, auf dessen
Haupt der Strahl des grossen Sternes niederfällt. Während Balthasar das
Mittelfeld der Ruine verdeckt und von der Landschaft wenig mehr als die
Windungen eines Weges oder Flusses erkennen lässt, der sich zwischen
buschigen Hügeln verliert, umschliessen zur Rechten bezinnte Mauern und
der Steilhang eines Berges die romanischen und gothischen Thürme, roth-
gedeckten Häuser und Kirchen einer malerisch am todten Meer belegenen
Stadt. Weit und breit ist der Spiegel des Sees mit Kähnen und Segelböten
bedeckt und auch durch das romanische Fenster des Mauerwerks sieht man
ein Fahrzeug mit blinkendem Segel auf dem Wasser treiben. Mögen die bau-
lichen Formen immerhin als Spiel der Phantasie betrachtet werden: sie tragen
den Anstrich einer deutschen Stadt und geben, wenn nicht für die Bildungs-
stätte, doch für des Meisters Wanderzüge im germanischen Norden einen
Fingerzeig.
Die Feinheit der technischen Behandlung steht hinter der Farbengebung
des Ultenheimer Bildes nicht zurück und wird auch wenig von den Fresken
des Welsberger Stöckels und den Flügelgemälden des Wolfgangaltars über-
troffen. Wie die Köpfe des Grauchen und des starkverkürzten, bis auf die
Doppelreihe der Zähne naturgetreu gezeichneten Stiers die Besonderheit des
thierischen Naturells versinnlichen, stellen die individualisirten Gesichter der
Magier die Eigenthümlichkeiten des seelischen Lebens in das Licht. Die Gom-
position ist freier als auf dem vorigen Bilde, der Ausdruck mannigfaltiger
und wenn die knöchernen, mit allen Einzelheiten durchgebildeten Hände
noch Befangenheit des Zeichners verrathen, die geraden Giebel und Fialen
der Monstranz die Symmetrie der Baldachine wiederholen, so ergibt die
Charakteristik der Figuren das Wachsthum seiner Befähigung, die Rankenzier
der Kronen einen Fortschritt der Zeit. Zwar hat der rohe Farbenüberstrich
die Harmonie der Töne aufgehoben, allein der goldene, mit scharfgeschnittenen
Arabesken durchsetzte Hintergrund vertieft die Schatten des Daches, überstrahlt
die landschaftliche Scenerie und erhöht die Wirkung des Gemäldes, dessen
G. Dahlke:
vollen Bilde weidet, ohne tiefer in den Sinn der Offenbarung zu dringen, des
Mannes Ungewissheit über die Bedeutung der Erscheinung, die ihn mit leiser
Ahnung ihres Inhalts erfüllt und die Klarheit des Weisen, dem der geistige
Gehalt des Wunders aufgeschlossen ist — in scharfen Zügen unterschieden,
dagegen gibt das feine Oval der Madonna von dem innern Leben und Weben
nur einen unbestimmten Schattenriss, der nicht minder als des Kindes wunder-
samer Kopf auf Pacher’s Mitarbeiter an den innern Flügelbildern seines grossen
Altars weist.
Vor dem Giebel des durchlöcherten, mit Stroh gedeckten Daches schweben
auf luftigen Wolken singende Engel, die in flatternder Gewandung, mit rothen
und grünen Stolen, eine Notenrolle in den Händen, ihre Lockenköpfchen zu
einander neigen und, ohne Schönheit der Züge, wie ohne Feinheit der ge-
hobenen Flügel, durch leichte Bewegung ihrer Lichtgestalten der Scene nicht
geringe Anmuth verweben.
Deutlicher als bei der Königsgruppe hat der Maler in der heiligen Fa-
milie die Senkung der Köpfe nach dem Kindlein durchgeführt, auf dessen
Haupt der Strahl des grossen Sternes niederfällt. Während Balthasar das
Mittelfeld der Ruine verdeckt und von der Landschaft wenig mehr als die
Windungen eines Weges oder Flusses erkennen lässt, der sich zwischen
buschigen Hügeln verliert, umschliessen zur Rechten bezinnte Mauern und
der Steilhang eines Berges die romanischen und gothischen Thürme, roth-
gedeckten Häuser und Kirchen einer malerisch am todten Meer belegenen
Stadt. Weit und breit ist der Spiegel des Sees mit Kähnen und Segelböten
bedeckt und auch durch das romanische Fenster des Mauerwerks sieht man
ein Fahrzeug mit blinkendem Segel auf dem Wasser treiben. Mögen die bau-
lichen Formen immerhin als Spiel der Phantasie betrachtet werden: sie tragen
den Anstrich einer deutschen Stadt und geben, wenn nicht für die Bildungs-
stätte, doch für des Meisters Wanderzüge im germanischen Norden einen
Fingerzeig.
Die Feinheit der technischen Behandlung steht hinter der Farbengebung
des Ultenheimer Bildes nicht zurück und wird auch wenig von den Fresken
des Welsberger Stöckels und den Flügelgemälden des Wolfgangaltars über-
troffen. Wie die Köpfe des Grauchen und des starkverkürzten, bis auf die
Doppelreihe der Zähne naturgetreu gezeichneten Stiers die Besonderheit des
thierischen Naturells versinnlichen, stellen die individualisirten Gesichter der
Magier die Eigenthümlichkeiten des seelischen Lebens in das Licht. Die Gom-
position ist freier als auf dem vorigen Bilde, der Ausdruck mannigfaltiger
und wenn die knöchernen, mit allen Einzelheiten durchgebildeten Hände
noch Befangenheit des Zeichners verrathen, die geraden Giebel und Fialen
der Monstranz die Symmetrie der Baldachine wiederholen, so ergibt die
Charakteristik der Figuren das Wachsthum seiner Befähigung, die Rankenzier
der Kronen einen Fortschritt der Zeit. Zwar hat der rohe Farbenüberstrich
die Harmonie der Töne aufgehoben, allein der goldene, mit scharfgeschnittenen
Arabesken durchsetzte Hintergrund vertieft die Schatten des Daches, überstrahlt
die landschaftliche Scenerie und erhöht die Wirkung des Gemäldes, dessen