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Repertorium für Kunstwissenschaft — 8.1885

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Moriz Thausing
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https://doi.org/10.11588/diglit.66022#0154

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Moriz Thausing.
Weit über die Kreise der Fachgenossen hinaus hat die Kunde von Thau-
sing’s plötzlichem Tode am 11. August erschütternd gewirkt. Wenn auch die
Freunde schon seit mehreren Jahren nur mit banger Sorge der Zukunft ent-
gegenblickten und ängstlich die Thätigkeit des Wurmes, welcher an Thausing’s
Lebenskerne nagte, beobachteten, ein so jähes und gewaltsames Ende des erst
fünfundvierzigjährigen Mannes hatten sie doch nicht erwartet. Auch nicht,
als Thausing vor einigen Monaten in Rom von einer schweren Nervenkrankheit
befallen wurde. Dieselbe schien vielmehr schliesslich wie eine wohlthätige
Krisis zu wirken. Zweckmässige Behandlung brach ihre Gewalt. Thausing
gewann völlige Klarheit über seinen Zustand und über die fördernden Ursachen
seines Leidens. Wir glaubten und hofften, dass sich das Gleichgewicht der
Kräfte, wenn auch langsam und allmählich, wieder herstellen werde. Nur
Thausing hoffte offenbar nicht mehr. Er hatte das Vertrauen auf gänzliche
Gesundung verloren und hielt ein Dasein, welches ein frisches, volles Wirken
hindert, für werthlos.
Vor längerer Zeit hatte Thausing bei Gelegenheit eines Nachrufes an
einen jüngeren Genossen darüber bittere Klage geführt, dass die Beschäftigung
mit der Kunstgeschichte so häufig das Individuum aufreibe, die Nerven Über-
spanne, das Lebensmark verdorre. Thausing ahnte damals nicht, dass er
selbst durch seinen Ausgang zu dieser Klage neuen schweren Grund bieten
werde. Kaum ein Jahrzehnt ist verflossen, da zählten wir unter dem jüngeren
Geschlechte der Kunstforscher drei besonders hell klingende Namen. Auf ihre
Thätigkeit bauten wir die grössten Hoffnungen, ihr Wirken schien eine stetige,
gedeihliche Weiterbildung unserer Wissenschaft zu verbürgen. Und nun ist
von diesem Dreigestirn: Albert von Zahn, Alfred Woltmann, Moriz Thausing
keiner mehr am Leben. Sie alle hat der grausame Tod vor der Zeit vom
Schauplatze ihrer Thätigkeit weggerissen, keinem es gegönnt, die reichen Früchte
seiner Studien selbst noch zu pflücken. Thausing’s Verlust beklagen wir am
meisten, sein tragisches Ende geht uns am stärksten zu Herzen. Denn er
war unter den Genossen unstreitig am besten angelegt, er versprach am
höchsten zu steigen. Zahn zersplitterte seine Kraft, Woltmann überwand nur
langsam die Jugendfehler überhastender Arbeit und leichtblütigen Abschlusses
der Forschung. Thausing dagegen verstand es, sich zu concentriren und dem
erfassten Ziele bedächtig und umsichtig, es von allen Seiten umkreisend,

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