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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0097

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A. INHALT UND VORREDE NR. i

Zum tritten ist sy nütz, wan nymant glawbt, dan so
45 man mit vm get, daz jn jr selbs so frewden reich ist;
grosse frewd hatt sy19.

Zum hrten ist sy nütz, man erlangt grosser vnd ewi-
ger gedechtnus dorfon, so mans ordenlich prawcht.
Zum fünfften ist sy nütz, wan gott wirt dordurch

geert, wo man sicht, das gott einer gkreatur sollich 50
vernunft verleicht, der solliche kunst jn jm hat vnd
alle weis20 werdn dir holt vm dein kunst.

Dy sext nutzperkeit, ob du arm werst, so magstu
durch eyn sollich kunst zu grossem gut vnd hab
kumen. 55

ANMERKUNGEN

1 Unter welchem Himmelszeichen, dem seine Nativität
beherrschenden Gestirne, er geboren ist; um daraus
Schlüsse auf die geistige und körperliche Veranlagung
des Knaben ziehen zu können.

2 Die noch vorhandenen Entwürfe zum Malerbuche ent-
halten nichts Näheres über diese Erklärungen.

3 Um an der Proportion seines Körpers das Tempera-
ment des Knaben zu erkennen.

4 Auch von dieser und den beiden folgenden Erklärun-
gen scheint nichts mehr vorhanden zu sein.

5 Vgl. dazu die Regeln für die Erziehung der Maler-
Lehrjungen in Leonardos Buch von der Malerei II, Tr.
47 ff. (Ed. Ludwig I, S. 105 ff.).

6 unlustig, überdrüssig.

7 K. Giehlow, Mitteilungen der Gesellschaft für verviel-
fältigende Kunst, Beilage der „Graphischen Künste“ 27
(1904), S. 63 f., hat festgestellt, daß eine Anzahl der fol-
genden Vorschriften Dürers für die Heranbildung des
Malers auf die Gesundheitslehre des Marsilius Ficinus
(1433-1499) zurückgeht, die dieser in der Schrift „De
Vita libri tres“ (Florenz 1489 u. ö.) gab. Das erste der
drei Bücher handelt de studiosorum sanitate tuenda, das
zweite de vita producenda, das dritte de vita caelitus
comparanda (Opera, 2 Bde., Paris 1641), Tom. I.

Dürer kann damit durch Celtis oder Pirckheimer be-
kannt geworden sein. Daraufhin studierte er allem An-
schein nach die Übertragung der ersten beiden Bücher ins
Deutsche durch Johann Adelphus Muling (Mulichius):
„Das buch des lebens. Marsilius Ficinus von Florentz
von dem gesunden vnd langen leben, der rechten artz-
nyen, von dem Latein erst nüw zw tütsch durch Johan-
nem Adelphi Argent.“ (In J. Brunschwigs Medicinarius.
Das buch der gesuntheit. Straßburg 1505). Besonders:
Getruckt zu Straßburg 1508 und 1521. Vgl. K. Goedeke,
Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung2 I
(1884), S. 441. Um 1510 gelangte wahrscheinlich auch
die Abhandlung des Heinrich Cornelius Agrippa von
Nettesheim (1486-1535) „De furore et divinationibus,
quae in vivilia fiunt, de melancholici homoris potentia,
quo etiam daemones nonnumquam in humana corpora
illiciuntur“ (Lib. I, cap. 60 der drei Bücher „De occulta
philosophia“, Köln 1510) zu Dürers Kenntnis. Sie ist in
der Hauptsache eine Kompilation aus Werken Ficinos
und den von diesem benützten Autoren.

Sowohl Ficinus wie Agrippa unterscheiden zwei Arten
des humor melancholicus: a) eine naturalis oder candida
bilis, die hervorragende Geistestätigkeit bewirkt; b) eine
atra bilis, die mania hervorruft. Da die Malerei als Kunst
eine dem melancholischen Geiste zugehörende Domäne

ist, soll der Lehrjunge von Haus aus melancholischen
Temperamentes sein, ist aber als angehender Künstler
von der Melancholie besonders bedroht. Er solle sich da-
her nicht überanstrengen, damit ihm nicht die böseNatur
der melancholischen Komplexion überhand nehme.

In der 6. Vorschrift kommen einmal Ficinos Ansichten
zum Ausdruck: „Wo ein stete übung der vernunfft ist,
die trucknet vast vß das hirn“; „Harumb so dick verzert
würt daz subtilist vnd clarest teil des blüts, so würt das
tiberig blüt von not wegen dick vnd schwartz“; „Welche
ding alle seind gewonlich machen ein melancolischen
geist oder spiritum vnd ein trurig forchtsam gemüt“. An-
dererseits Ficinos selbsterprobter Rat, diese Gemütsver-
fassung mit Musik zu heilen: „Mercurius, Pythagoras
vnd Plato heissent das trurig vnd verruckt gemüt mit
seitenspyl vnd gesang stetigs wider zü samen lesen vnd
sich dauon vffrichten vnd erquicken. Wan Dauid der
heilig prophet hat Saulen erlediget von der vnsinnigkeit
mit dem psalter vnd gesang der harpffen. Vnd ouch ich
(ist es billich, das die vnwirdigen sollent vergleidit wer-
den den loblichen), wie vil wider die bitterkeit der bosen
melancoly die süssigkeit des clauicordy, der lüten vnd
des gesangs vermag vnd nutz bringe, würd ich teglich
innen vnd erfaren“. Vgl. Das buch des lebens Marsilius
ficinus zü Florentz von dem gesunden vnd langen leben
der rechten artznyen (Straßburg 1508), fol Y2b und fol.
Zb.

s Dabei hatte Dürer das 2. Kapitel des I. Buches im
Sinne, das „sagt, wie fleissige sorg sei zü haben zü dem
hirn, hertzen vnnd magen vnd zü dem leiplichen geist“.
Ein jeder fleißiger Werkmann besorgt sein Werkzeug,
der Maler die Pinsel, der Schmied Hammer und Ambos,
der Reiter die Pferde und Waffen, der Harfner die
Harfe. „Soli vero Musarum sacerdotes, soli summi boni
veritatisque venatores, tam negligentes (pro nefas) tam-
que infortunati sunt vt instrumentum illud, quo mun-
dum vniuersum metiri quodammodo et capere possunt,
negligere penitus videntur.“ „Diser werckzeüg ist der
natürlich geist, welcher dan bey den artzten wurt be-
schryben ein reiner subtiler dunst des blüts, heiß, warm
vnd clar, vnd so der aber vß der worm oder hitz des
hertzen, von dem reinsten vnd subtilsten blüt geschaffen
würt vnd steigt vff in daz hirn, da selbs gebrucht sich
dan stetigs das gemüt dises dunstes vnd geistes zü üben
nit allein die innern sinn, sunder ouch die vß wendigen.“
Vgl. AaO, fol. Yb.

Der Ciceronianisch-scholastische Begriff der Subtilität,
ein Grenzbegriff für Geist und Materie, bezeichnet hier
die Feinheit im menschlichen Wahrnehmen, Erkennen

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