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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0157

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C. VON DER MASS DES MENSCHEN

brawch ist gewest. Dan sy hat sich erst jn anderhalb hundert jorn wider angespunen. Vnd jch hoff, sy soll
fürpas waxen, awff das sy jr frücht geper, vnd sunderlich jn welschen landen, das dan zw vns awch mag
kumen“ 3.

Die letzte, unmittelbar vor dem Tod getane Äußerung steht in dem erst jüngst wiedergefundenen eigent-
lichen Widmungsbrief an Pirckheimer zur gedruckten Proportionslehre von 1528: Noch immer hört Dürer
zu seiner Verwunderung weder von Malern noch Bildhauern, die ihr Wissen der Allgemeinheit schenken.
So wolle er denn sein Vorhaben ausführen und damit die Ursache sein, daß die Hochberühmten dieser Kunst
in Italien, die gegenwärtig alle anderen in der Welt übertreffen, etwas von ihrem Überfluß herausgeben4.
Schon klingt in dieser späten Aussage die Sorge durch: Wenn die großen Meister dieser Wissenschaft in
Italien die Veröffentlichung ihres Proportionswissens weiter verzögern, könnte es geschehen, daß diese Kennt-
nisse, so wie in den Zeiten der Spätantike, ein zweites Mal verloren gehen. Denn die jetzigen Bilderstürmer
wollen derartige „Künste“ und Gaben Gottes austilgen. Jeder Künstler solle daher, soviel ihm möglich, sein
Wissen niederschreiben.

Allen fünf angeführten Selbstaussagen sind zwei Punkte gemeinsam: 1. Die Behauptung, Dürer habe nie-
mals ein zeitgenössisches Spezialwerk zur Malerei und Proportionslehre, abgefaßt von einem wirklich sach-
verständigen Künstler, in die Hände bekommen; keiner hätte eine derartige Schriff veröffentlicht. 2. Das
Wissen Dürers, daß in Italien große Künstler und Gelehrte sich mit Proportionsstudien befassen, jedoch ihre
Erkenntnisse zurückhalten. In der Äußerung aus dem Jahre 1512 wird dem Bedauern über die Zurück-
haltung der Fachleute noch eine Kritik iiber die Lehrschriften Unberufener angeschlossen.

Versucht man, die aus den Selbstaussagen resultierenden Fragen der Reihe nach zu beantworten, wäre zu
sagen: 1. Uber die bis zu Diirers Tod vorhandene italienische Kunstliteratur wurde bereits in der Einleitung
zu Kapitel II A das Erforderliche ausgeführt. Keiner der wirklich großen italienischen Meister hatte ein Werk
zur Kunsttheorie publiziert. 2. Wie Dürer Kenntnis von Leonardos Plan für ein Lehrbuch zur Malerei hatte,
mußte er auch um Leonardos Proportionsstudien gewußt haben. Leonardo starb 1519. Dürer appelliert 1523
und 1528 noch immer an die großen Italiener, ihr Proportionswissen der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Dürer wußte, wie in der Einleitung zu Kapitel I D wahrscheinlich zu machen versucht wurde, zumindest seit
seinem Bologneser Aufenthalt 1306 auch Näheres über Michelangelo, der 1564 starb. Vermutlich hatte er
auch von dessen Proportionsstudien gehört.

*

Da aus Dürers Selbstaussagen über seine Verbindung mit der italienischen Proportionstheorie weder über
Personen noch über Schriften etwas Bestimmtes hervorgeht, war man gezwungen, die vorhandene Berührung
und Auseinandersetzung an Hand anderer Materialien und Tatsachen zu erweisen und darzulegen: mit Hilfe
überlieferter Zeichnungen und Niederschriften Dürers, durch den eventuellen Nachweis persönlicher Kontakte
mit italienischen Theoretikern, durch erworbene Zeichnungen, durch in Abschrift oder Druck kennen-
gelernte Kunstliteratur.

Es gilt als gesichert, daß die Pferdezeichnungen von 1303 (W 360/61), die Tierjagden und Profilköpfe von
x5°5 (W 379? 372~374) auf Leonardo zurückgehen. Wann die Holzschnitte der sechs Knoten nach einer
italienischen Stichserie mit der Inschrift „Academia Leonardo Vinci“ gerissen wurden, ist nicht ausgemacht.
Meder, aaO, Nr. 274-279, setzte sie in die Jahre 1505-1507, Flechsig (I, S. 319) datierte 1513.

3 Bd. III unserer Ausgabe.

4 Vgl. Bd. III, Berichtigungen und Ergänzungen.

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