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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0345

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C. 4. DIE PROPORTION DES KINDES NR. 1

Handwurzel bis zur Spitze des Mittelfingers 1 Spanne, die Länge des Daumens ist gleich der Länge des
kleinen Fingers, die Spitze des Ringfingers steht Vs (wohl lU) Spanne über dem kleinen und um eben so
viel der Mittelfinger über dem Ringfinger und iiber dem Zeigefinger. Die Breite der Brust ist 2V2 Spannen
und die Weite zwischen den beiden Brustwarzen 1 Spanne, zwischen dem Nabel und dem Ende der Brust
1 Spanne, von der Spitze der Brust bis zum Ende des Kehlkopfes eine Spanne, zwischen den beiden Schul-
tern liegen 2 Spannen“.

Innerhalb der Entwicklung der Proportionstheorie der Renaissance tauchte das Interesse am Kinderkörper
zuerst bei Leonardo auf. Er verglich das Kind mit dem erwachsenen Manne und hob die Entwicklungs-
unterschiede und das verschiedene Wachstum der Körperteile hervor. Dann versprach der von Leonardo
abhängige Pomponius Gauricus in seiner Schrift „De sculptura“ (1504) die Einbeziehung eines Kinder-
körpers in seine Messungen: „Und wir sprechen vom erwachsenen Manne, nicht von kleinen Kindern,
deren ganzes Längenmaß aus nur vier Gesichtslängen besteht. Denn über die Symmetrie des Menschen auf
den einzelnen Altersstufen, wie sie sich zu Anfang, Mitte und Ende der Kindheit, in der Jugend, im
angehenden Mannesalter und im Greisenalter zeigt, könnte ich jetzt nichts Sicheres beibringen. Schon denke
ich aber daran, an einem Knaben, wenn mir meine Schwester einen Neffen schenken wird, diese Symmetrie
durchgehends zu beobachten und meine Beobachtungen in schriftlichen Urkunden niederzulegen, um für
meine Wohltat die Nachwelt zu Danke zu verpflichten, oder doch wenigstens durch mein Beispiel zu
förderlichen Gedanken anzuregen1“. Dieses Vorhaben hat Gauricus jedoch nicht ausgeführt.

Bei Dürer erscheint die Absicht, neben Mann und Frau auch den Kinderkörper zu behandeln, bereits in der
erweiterten Inhaltsangabe des zweiten Teiles des Lehrbuches der Malerei (etwa 1508) und gelangte im
weiteren innerhalb der Geschichte der Proportionslehre erstmalig zu systematischer Durchführung. Die
früheste erhaltene Proportionszeichnung eines männlichen Kinderkörpers in Seitenansicht mit knapper
Beschriftung findet sich im Dresdener Skizzenbuch, fol. 165b. Eine ausführliche Anleitung zur Konstruktion
des Kinderkörpers stammt aus dem Jahre 1513.

Die Reinschrift-Fassung in der Lehre von menschlicher Proportion 1523 stimmt zwar in den Maßangaben
großenteils mit dem Druck 1528 überein, weist jedoch im Wortlaut derart erhebliche Verschiedenheiten
auf, daß sie als selbständiger Text angesehen werden muß.

Nr. 1

KINDERKÖRPER IN SE ITENANS ICHT

Von Dürers Hand. Dresdener Skizzenbuch, fol. 165b (fol. 165a oben alte Foliierung 63; Bruck, Taf. 82).
Links oben aufgeklebt die Kinderproportionsstudie gegenüber der Durchzeichnung der dicken Frau. Ein
Blatt 29,4 X 20,8 cm. Wz.: Dreizinkige Gabel mit Kreis. Fol. 16$a (Bruck, Taf. 81) trägt links die Propor-
tionsfigur der dicken Frau, rechts die Skizze „Maria mit dem Kinde stehend, Draperie, Männerkopf“ (T 465,

W546).

Tafel 50, Nr. 163.

1 P. Gauricus, De sculptura (Ed. H. Brockhaus), S. 133, wo er über die Symmetrie spricht und seinen Kanon der
Proportion des Menschen darlegt.

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