Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0372

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. DAS LEHRBUCH DER MALEREI

Die Darstellung der Optik ist eine sachlich (bis auf das ungenaue Theorem 16) und meist auch wörtlich
genaue Wiedergabe der Perspektive des Euklid.

Die Tatsache, daß der Text des 17. Theorems nicht von Dürers Hand, sondern vermutlich von Pirck-
heimer geschrieben ist, bezeugt, daß Dürer bei seiner Wiedergabe ins Deutsche die Mithilfe eines gelehrten
Freundes in Anspruch nahm. Demnach ist der Ubersetzer des ganzen Abrisses der Perspectiva naturalis
in der Hauptsache wohl Pirckheimer1.

*

Für die bildnerische Perspektive beabsichtigte Dürer sowohl iiber exakte wie über approximative Ver-
fahren zu unterrichten. Noch 1523 wollte er in der Widmung der Proportionslehre an Pirckheimer den
Italienern große Tüchtigkeit in der Darstellung des Nackten und besonders in der Perspektive nach-
gerühmt wissen (I, S. 100). Mit der letzteren ist die auf der theoretischen perspectiva naturalis aufgebaute
perspectiva artificialis gemeint. Ihre Aufgabe ist es, mit Hilfe einer praktikablen geometrischen Kon-
struktion, vermöge welcher die zentrale Projektion eines beliebigen dreidimensionalen Objektes auf der
Fläche ausgeführt werden kann, dem Bilde die formale Richtigkeit zu geben.

Das perspektivisch richtige Bild ist nach Dürer „ein ebene durch sichtige abschneydung aller der
streym linien, die auß dem aug fallen2 auf die ding, die es sicht“ (Unterweisung, fol. Pia); italienisch:
„intersegatione della piramide visiva“; deutsch: geschnittene Sehpyramide.

Panofsky, a a O, S. 26 ff., ist den Spuren der 1506 in Bologna empfangenen und überhaupt italienischen Mit-
teilungen in Dürers theoretischen Erörterungen und Konstruktionsanweisungen nachgegangen und zu fol-
genden Feststellungen gelangt:

Dürer zeigt in der Unterweisung der Messung zwei perspektivische Konstruktionen: ein umständlicheres
Verfahren (Fol. Pib — P3a) unü einen, wie er sagt, „näheren Weg“ (Fol. P4). Als Beispiel benützt er
einen von einer Lichtquelle beleuchteten Würfel, der auf einer quadratischen Ebene steht. Das erste Ver-
fahren demonstriert Dürer mit drei Zeichnungen. Die erste gibt den Aufriß, die zweite den Grundriß,
die dritte fügt sie zum definitiven Bild zusammen. Der „nähere Weg“ ist, wie Staigmüller nachgewiesen
hat, nicht eine dem Buche Viators entstammende Wiedergabe des Distanzpunktverfahrens, sondern eine
vereinfachte Version von Dürers erstem Verfahren. Was die Herkunft der Verfahren angeht, so stammen sie
beide aus Italien. Das erste ist identisch mit der „costruzione legitima“, wie sie bei Piero de’Franceschi
(Ed. Winterberg, Fig. 45, Text S. XXXII f.) dargelegt wird. Das zweite Verfahren geht vermutlich auf
die in Bologna empfangenen Belehrungen zurück. Es taucht bereits 1492 bei Leonardo auf und ist um 1500
in Oberitalien nachweisbar.

Zu diesen beiden Konstruktionen kommen noch einige spezielle perspektivische Aufgaben, die Dürer sich
stellte und die in seinem Nachlaß nachweisbar sind: 1. Errichtung des Würfels innerhalb des „näheren

1 Von einer um 1507/09 oder nicht viel später in Nürnberg entstandenen Euklidübertragung ins Deutsche berichtet
Johann Neudörfer in seinen Nachrichten von Künstlern und Werkleuten (hrsg. v. G. W. K. Lochner, Wien 1888),
S. 48. Demnach habe der Büchsengießer Sebald Beheim (gest. 1534) für seinen Sohn Hans von Johannes Werner unter
Vermittlung Pirckheimers „die 15 Bücher Euklidis in teutsche Sprach transferiren lassen“, „damit aber alle Proposi-
tiones desto verständiger seyn möditen, wurd ihm angedingt, dass er über ein jede Proposition ein verständig
Exempel setzen solle, gab ihm also von jedem Buch zehen Gulden“. Die Obersetzung war schon zu Neudörfers Zeit
(1547) verschollen.

Dürers Interesse an der Euklidverdeutschung bekundet auch noch sein Brief an Nikolaus Kratzer vom 5. Dezember 15 24,
in dem er sich nach der von Kratzer beabsichtigten Übersetzung erkundigt (Bd. I, S. 113).

2 Dürer denkt sich das Sehen neben dem Licht vermittelt durch vom Auge ausgehende Sehstrahlen. Vgl. Staigmüller,
AaO, S. 43.

368
 
Annotationen