MURANO
§ 1. Der Verfall von Venedig gleicht in vielen Beziehun-
gen dem eines erschöpften alten menschlichen Körpers;
der Grund der Hinfälligkeit liegt allerdings im Herzen, aber
die äußeren Anzeichen davon zeigen sich zuerst an den
Gliedmaßen. Im Mittelpunkt der Stadt sind noch Stellen,
wo ein Schimmer von Lebenskraft übrig geblieben ist und
wo es bei freundlichem Augenschließen vor den, selbst
dort nur zu offenkundigen Anzeichen von Elend und ab-
nehmendem Wohlstand, dem Fremden gelingen mag, sich
ein Weilchen vorzustellen, wie Venedig in seiner Blütezeit
ausgesehen hat. Aber dieser stockende Pulsschlag hat nicht
mehr Kraft genug, um bis in die Umgebungen und Grenzen
der Stadt zu dringen; Todeskälte macht sich dort unerbitt-
lich fühlbar, und das Umsichgreifen tödlicher Krankheit zeigt
sich täglich durch die zunehmende Ausdehnung ihres
Trümmergürtels. Nirgends ist dies trauriger zu erblicken
als an der großen nordöstlichen Grenzlinie, wo einstmals
die kleineren Paläste der Venezianer standen, die zum Ver-
gnügen oder zur Erholung bestimmt waren; denn die edle-
ren Gebäude am großen Kanal dienten für den Pomp und
die Geschäfte des täglichen Lebens. Zu solchen kleineren
Palästen gehörte gewöhnlich etwas Gartenland, das bis zum
Wasser hinab ging; und diesen Villen und Gärten gegen-
über war die Lagune des Abends von Gondeln bedeckt;
denn die Stelle derselben zwischen diesem Teil der Stadt
und der Inselgruppe von Murano war für Venedig in seiner
Glanzzeit das, was für London seine Parks sind; nur wurden
§ 1. Der Verfall von Venedig gleicht in vielen Beziehun-
gen dem eines erschöpften alten menschlichen Körpers;
der Grund der Hinfälligkeit liegt allerdings im Herzen, aber
die äußeren Anzeichen davon zeigen sich zuerst an den
Gliedmaßen. Im Mittelpunkt der Stadt sind noch Stellen,
wo ein Schimmer von Lebenskraft übrig geblieben ist und
wo es bei freundlichem Augenschließen vor den, selbst
dort nur zu offenkundigen Anzeichen von Elend und ab-
nehmendem Wohlstand, dem Fremden gelingen mag, sich
ein Weilchen vorzustellen, wie Venedig in seiner Blütezeit
ausgesehen hat. Aber dieser stockende Pulsschlag hat nicht
mehr Kraft genug, um bis in die Umgebungen und Grenzen
der Stadt zu dringen; Todeskälte macht sich dort unerbitt-
lich fühlbar, und das Umsichgreifen tödlicher Krankheit zeigt
sich täglich durch die zunehmende Ausdehnung ihres
Trümmergürtels. Nirgends ist dies trauriger zu erblicken
als an der großen nordöstlichen Grenzlinie, wo einstmals
die kleineren Paläste der Venezianer standen, die zum Ver-
gnügen oder zur Erholung bestimmt waren; denn die edle-
ren Gebäude am großen Kanal dienten für den Pomp und
die Geschäfte des täglichen Lebens. Zu solchen kleineren
Palästen gehörte gewöhnlich etwas Gartenland, das bis zum
Wasser hinab ging; und diesen Villen und Gärten gegen-
über war die Lagune des Abends von Gondeln bedeckt;
denn die Stelle derselben zwischen diesem Teil der Stadt
und der Inselgruppe von Murano war für Venedig in seiner
Glanzzeit das, was für London seine Parks sind; nur wurden