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Nun beachte man wohl, sobald die Gottesfurcht oder
Heiligkeit von der Wahrheit getrennt ist, trifft sie den Un-
glauben, oder den Ritter Sans Foy, hinter dem die Falsch-
heit oder Duessa reitet. Sobald der rote Kreuzritter den
Angriff des Unglaubens bemerkt,

„Legt seinen Speer er ein und reitet auf ihn zu".

Er überwindet und erschlägt den Unglauben, lässt sich
aber durch dessen Gefährtin Falschheit betrügen und nimmt
sie zu seiner Herrin; womit er zeigt, wie die Religion, vom
Zweifel befallen und siegreich geblieben, sich dennoch von
jeder Form von Falschheit verlocken lässt, Ehrfurcht zu er-
zeigen, wo sie es nicht dürfte. Dies ist also der erste
Erfolg der von der Wahrheit getrennten Gottesfurcht. Nun
kehrt der Dichter zu der von der Gottesfurcht getrennten
Wahrheit zurück. Ihr folgt sofort ein Löwe, oder Gewalt-
tätigkeit, der sie überall gefürchtet macht, wo sie hinkommt;
und als sie den Markt des Aberglaubens betritt, reißt dieser
Löwe Kirkrapine in Stücke; womit gezeigt wird, dass die
von der Heiligkeit getrennte Wahrheit allerdings den Miss-
bräuchen des Aberglaubens ein Ende macht, aber heftig
und rücksichtslos. Dann trifft sie wieder mit Heuchelei
zusammen, die sie für ihren eigenen Gebieter oder Gottes-
furcht hält und eine kurze Strecke unter ihrem Schutze
reist (so scheint die Heuchelei nicht selten die Wahrheit
zu verteidigen), bis beide mit Zügellosigkeit, oder dem
Ritter Sans Loy zusammentreffen, dem Heuchelei nicht
widerstehen kann. Zügellosigkeit besiegt Heuchelei und
bemächtigt sich der Wahrheit, nachdem sie erst ihren be-
gleitenden Löwen erschlagen hat, womit sie zeigt, dass es
das erste Ziel der Zügellosigkeit ist, die Kraft und das An-
sehen der Wahrheit zu vernichten. Dann nimmt Sans Loy
die Wahrheit gefangen und führt sie hinweg. Diese Zügel-
losigkeit ist die Ungerechtigkeit oder „Adikia" von St. Pau-
lus; und dass er die Wahrheit gefangen nimmt, ist typisch
für jene, „die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhal-
ten", — d. h. im allgemeinen gesagt, für Leute, die
wissen, was wahr ist, aber die Wahrheit ihren eigenen
Zwecken dienstbar machen, oder sie nur anwenden, um
 
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