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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 2.1915-1916

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V. und VI. Lieferung
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Frimmel, Theodor von: Waldmüllers Beethovenbildnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.27902#0114

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während der Sitzung unruhig. Unwühg war er geworden dadurch, daß ihn
Waidmüiler ungünstig gesetzt hatte, „nämiich so, daß er gegen das Fenster
bücken mußte". Wie aus Schindlers weiterer Erzähiung erhebt, mußte die
Sitzung für immer abgebrochen werden, als beim Mittagessen Beethovens
Lieblingsspeise: Makkaroni mit Käse zum Brei zerkocht waren, und als
Beethoven ein ungewöhnlich heftiges Donnerwetter über die Haushälterin
niedergehen ließ. „Von einer zweiten Sitzung konnte also keine
Rede mehr sein, so sehr sich Herr Waidmüiler darum bemühte...."
Ich hebe diese Stelle hervor, weil sie beweist, daß Waldmüllers Beethoven-
bildnis nicht vor der Natur fertiggemalt ist. Weiteres darüber findet
sich in der dritten und vierten Auflage derSchindlerschen Beethovenbiographie.
Gegen Schindlers Urteil versuchte G. W. Fink noch einmal aufzutreten, doch
wird die Sache dadurch nicht besser.
Wir sind aber beim Studium des Waldmüllerschen Beethovens nicht
allein auf Fink und Schindler angewiesen. Durch den guten ersten Abguß
von Beethovens Antlitz aus dem Jahre 1812, es ist die oft wiederholte und
oft abgebildete Gesichtsmaske, sind wir in die Lage versetzt, unabhängig
von früher geäußerten Meinungen, die Angelegenheit selbst zu prüfen.
1812, als die Maske genommen wurde, war Beethoven 42 Jahre alt,
1823, als Waldmüller ihn porträtierte, ging er ins 53. Lebensjahr. Im Alter
zwischen 42 und 53 Jahren muß sich zwar Beethovens Antlitz in einigen
unbedeutenden Zügen ein wenig verändert haben, aber die Grundlage der
Formen, also der Schädel, die hauptsächlichen Bindegewebemassen, die Ge-
sichtsmuskeln, dürfen in dieser Zeit als nahezu beständig angenommen
werden. Die eingreifende Kennzeichnung des Antlitzes durch störende
Formveränderungen war schon in der Jugend beim Überstehen der Blattern
geschehen. Kleine Pockennarben waren damals im ganzen Gesicht zurück-
geblieben. Die guten alten Abgüsse zeigen deren viele Dutzende über das
ganze Antlitz verteilt. Das Kinn hat eine höchst eigenartige Entstellung er-
fahren und wird rechts durch eine ungefähr horizontal verlaufende, etwa
20 C7M lange Narbe von der Gegend der Unterlippe getrennt. Es sieht aus
wie eine Narbe nach einem Schnitt, der nicht gut geheilt ist. Am Unterrand
des Kinns ist rechts ein starker Substanzverlust festzustellen, der den Kontur
und die Modellierung sehr auffallend beeinflußt/) Diese wichtigen Formen
haben nun sicher seit 1812 noch volle Geltung bis 1823, und wir dürfen
in dieser Beziehung die Maske zur Vergleichung völlig ungescheut heran-
ziehen. Ich bringe also die Maske von 1812 nach Möglichkeit in dieselbe
Stellung und Beleuchtung, die Waidmüiler seinem Beethovenkopf gegeben hat.
Sie muß demnach in der Höhe eines Sitzenden aufgestelltwerden, nicht vorhängend,
wie es die gewöhnlichen Aufnahmen zeigen, sondern mit der Stirn zurück, wie
Beethoven vor Waldmüller gesessen hat. Beleuchtung durch ein gewöhn-
liches Zimmerfenster von bürgerlicher Abmessung. Dann suchen wir den
Standpunkt des Malers, der nur ganz wenig von rechts her, nahezu gerade
auf Beethoven hinblickte. Dort stellen wir uns auf, um den Anblick der
Maske mit dem Photo nach Waldmüllers Bildnis zu vergleichen. Nun kann
Zug für Zug geprüft werden.

*) Über die Maske von 1812 und den Plastiker Franz Klein, der sie geformt hat,
vgl. meine „Beethovenstudien", Bd 1, S. 40—48.
 
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