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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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von Bülow, J.: Feindwärts!
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Koldemanz, G.: Melchior Lechter: zu seinem 50. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.57056#0021

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XV, Heft 2.

Die Werkstatt der Kunst.


auf den allerhöchsten Kriegsherrn klang begeistert,
und die Musik begleitete den kräftigen Gesang des
deutschen Liedes.
Beim Marsch zur Bahn war dann der ganze
Ort auf den Beinen. Schon vorher waren die
kühneren unter den jungen Damen in die Ställe ge-
drungen und hatten Mann und Roß mit Blumen ge-
schmückt. In jedem Karabiner steckte ein Strauß, um
jeden Helm wand sich ein Kranz, und Blumen winkten
von der Lanzenspitze mit dem Fähnlein um die
wette. Nun regnete es noch duftende Grüße aus
allen Fenstern, und ganze Speckseiten wurden neben
Rauchbarem den tapferen Mannen im Vorbeireiten
zugesteckt.
Die Begeisterung, die Gebefreudigkeit war nicht
geringer als am ersten Tage des Krieges, der sich
nun schon vor Wochen gejährt hat. Damals hoffte
man es, heute weiß ein jeder: wir werden sie schon
dreschen!
Nun sind wir unterwegs, feindwärts. wo wir
ihn finden, wann wir ihn treffen, das ahnen wir
nicht. Die Weltgeschichte steht nicht still, während
wir in unserem geruhsamen Tempo der Grenze zu-
schaukeln, vielleicht daß wir, kaum angekommen,
umkehren müssen zu neuer Fahrt und neuer Rich-
tung Dies willenlose beim Einzelnen macht merk-
würdig gleichgültig gegen alles. Seit drei Stunden
liegt neben mir die neueste Zeitung, ich habe sie

noch nicht eines Blickes gewürdigt. Und wenn es
jetzt hieße, sie haben Riga genommen oder gar
Petersburg, dann würde mich das höchstens zu
einem „So" bewegen. Um nichts brauche ich mich
mehr zu kümmern, Essen und Trinken kommt von
selbst herbei, auf jeder Verpflegungsstation steht ein
Tischlein Deckdich und den Zug lenkt ein höherer
Befehl, der jeden Augenblick sich ändern kann und
ändert. Das macht einen Teil unserer Nervenstärke
aus, dies Gefesseltsein, dies Müssen ohne Entrinnen,
wie man uns hier, ohne zu fragen und gefragt zu
werden, von Ort zu Ort bringt, genau so werden
wir demnächst in die feindlichen Linien ausbrechen,
bis auf den Zentimeter da, wo es die höchste Be-
fehlsstelle will, zur rechten Minute und mit jener
Selbstverständlichkeit, die unsere Leute draußen zu
bescheiden sind, Mut zu nennen. Unter uns sind
junge und alte Männer, Freiwillige und Rekruten,
auch mancher Kriegserfahrene zieht wieder hinaus
ins Feld. Aber alle beseelt ein Geist, ein Wille,
die Heimat zu schützen und den Feind zu besiegen.
Alle fühlen wir dieselbe Freude, daß er nun in Er-
füllung gehen soll, unser sehnlichster Wunsch, die
große Zeit als Streiter mit zu erleben.
Nun erst werden wir das Leben kennen lernen,
wo wir es aufs Spiel setzen sollen, täglich und
stündlich. Denn endlich geht es feindwärts!
I. v. Bülow.

Melckior Leckler
zu seinem 50. Geburtstag,
von G. Koldemanz.

Unter den deutschen Künstlern unserer Zeit
nimmt Melchior Lechter eine einzigartige Stellung
ein. Dieser Maler ist stark im Handwerklichen und
doch eme zartbesaitete Aesthetennatur. Als voll-
endeter Glasmaler steht er an erster Stelle. In
dem umfangreichsten Werke seines künstlerischen
Schaffens, dem Tempera-Triptychon „Die weihe
am mystischen Ouell", das er für den Pallenberg-
saal des Kunstgewerbe-Museums in Köln am Rhein
malte, hat er ein Tafelbild von tiefen Farben ge-
schaffen, das, mittelalterliche Vorbilder nachempfindend,
in ein modernes prärafaelitentum ausklingt. Das
mag eklektizistisch sein, doch spricht aus ihm ein
Formenkünstler von hervorragender technischer Ge-
wandtheit. Daneben hat Lechter kleinere Gemälde
und Pastelle geschaffen und sich in fast allen Zweigen
des Kunstgewerbes betätigt.
Melchior Lechter wurde am 2. Oktober s865
zu Münster i. w. geboren, das damals noch vorzüg-
liche Kunsthandwerker besaß, zu denen auch der
Vater des Künstlers zählte. Mit sH Jahren erlernte
er die Glasmalerei in einer trefflichen Werkstatt
seiner Heimat. Im Herbst j88H ging er dann nach
Berlin als Schüler der Hochschule für die bildenden
Künste. Die kargen Mittel zum Lebensunterhalt
erwarb er durch nächtliche Arbeiten für Glasmale-
reien. Am Tage vertiefte er sich dann mit Eifer

in das akademische Studium. Schon damals machte
er kurze Studienreisen nach der Dülmer Heide i. w.,
in die Rheinlands und nach Belgien. s886 hörte
er in Bayreuth zum ersten Male „parsifal" und
„Tristan und Isolde" und empfing dabei tiefe Ein-
drücke erhabener Kunst. In den Aquarell- und
Oelstudien lehnte er sich an die Ornamentik der
historischen Stile an. Seit s892 begann er sich
ernsthaft mit dem Studium der Pastell- und Tem-
perafarben zu beschäftigen. Zahlreiche Pastell-
studien entstanden auf Studienreisen in die märkische
und westfälische Ebene, in den Alpen und auf den
Inseln Elba und Ischia.
Seine Glasgemälde im Romanischen Hause
am Berliner Kurfürstendamm machten ihn s89§ be-
kannt. Seine Bilder hatte er bis dahin vor pro-
fanen Augen gehütet. Als er sie s896 zum ersten
Mal im Kunstsalon Gurlitt zeigte, wurde man auf
seine wunderbare Farbengebung und den feierlichen
Ernst seiner Arbeiten aufmerksam. Dann folgten
die Jahre ernster Arbeit für den Pallenbergsaal
in Köln, der vorher auf der pariser Weltausstellung
von s900 gezeigt wurde. Der Entwurf der ge-
samten Dekoration dieses Saales stammt von Lechter
und den Mittelpunkt bildete das bereits oben er-
wähnte Triptychon „Die weihe am mystischen Ouell".
Im Mittelbild dieses Werkes liegt über düsterem
 
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