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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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Corwegh, Robert: Deutsches Künstlerleben in Rom vor 100 Jahren
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XV, Heft 6.

Die Werkstatt der Runst.

75

veutlckes RünMerleben in Rom vor 100 Jakren.
von vr. Robert Lorwegh.

I.
Wer als Künstler oder Kunstfreund für längere
Zeit nach Italien reiste, der machte mit Absicht die
Türe des heutigen Europas hinter sich zu und suchte
in glücklichem phäakendasein ein Leben in Erinnerung
schönerer Zeiten, verstört schreckte er auf, wenn das
scharfe Rlingeln der elektrischen Bahn und abends
grelle Straßenbeleuchtung mit Bogenlampen ihn be-
lehrten, daß auch hier die Zeit nicht stillgestanden ist,
daß man sogar stolz sich der Errungenschaften unserer
Zivilisation auf klassischem Boden rühmt.
Dieses vergessenwollen der Gegenwart, die Sehn-
sucht nach Zeitlosigkeit war den Romfahrern stets zu
eigen. Rom bleibt der Venusberg für alle deutschen
Tannhäuser, seit die hohenstaufischen Rönige in
Italien ihr Lapua und ihren Untergang gefunden.
Als die Gewitterwolke der großen Revolution über
Europa hinzog, als Napoleon gleich einem der apoka-
lyptischen Reiter ihr folgte, blieb der Himmel Roms
nicht wolkenlos. Oie Stürme drangen bis hierher.
Staunend und empört sah der deutsche Wanderer
sich mit hineingerissen in den Wandel der Zeiten und
grollte dieser Zeit und seinem geliebten Rom, wo
Goethe selbst „allein empfunden hat, was eigentlich
ein Mensch sei" (Gespr. mit Eckermann am 9. Gkt.
l828), daß es diese Stürme ihm nicht fernhielt. Auch
heutzutage fühlen wir Fremdlinge auf römischer Erde
uns als ihr Erbe und empfinden jede Änderung am
Gewohnten als Sakrileg. Ein Trunk aus der Fontana
Trevi machte und macht jeden zum Lotophagen, der
Zeit und Heimat vergißt.
Raum hatte Napoleon Rom zur zweiten Stadt
des Naiserreiches erhoben, so ging er daran, diese
Residenz nach seiner Art zu schmücken. l8ll wurde
eine Million jährlich für die Verschönerung in den
Etat gesetzt. Oie Akademie von S. Luca erhielt ein
jährliches Einkommen von lOOOOO Kranken und einen
festen Sitz im Collegium Germanicum bei S. Apolli-
nare. Oie Straßenbeleuchtung wurde eingeführt, und
es wirkt wie eine Art symbolischer Rundgebung,
daß der Papst bei Wiederantritt der Herrschaft die
Laternen sogleich entfernen ließ. Oer heilige Vater,
der die Jesuiten begünstigte, liebte eben die Dunkelheit.
Allein auch den Nünstlern war ihr Rom lieber,
wenn der Mond die einzige Fackel in der Nacht
bildete, und die Verschönerungen der französischen
Regierung konnten ihnen nimmer den Verlust ge-
liebter Nunstwerke ersetzen. Zm Museo Pio-Elemen-
tino füllte die Stelle des Apoll von Belvedere ein
unwürdiger Ersatz im Perseus des Lanova. Zwar
empfand man die Distanz der Würde nicht so wie
wir, allein auch der Platz des Laokoon stand ver-
lassen. vergebens suchte der Runstfreund Raffaels
Transfiguration, vergebens die Werke eines perugino,
poussin, Barocci, Veronese Guido Remi. Sie alle
waren 1797 nach Paris abgewandert. Selbst Privat-

galerien wie die der Aldobrandini litten unter der
Sammelfreude der französischen Eroberer. Es be-
deutete für so gesinnte Freunde Roms einen schlimmen
Ersatz, wenn Joseph valadier, „un Italien inatZre son
norn", den Titusbogen freilegte oder die Neuanlage
der Piazza del Popolo und des pincio, des Jardin du
Grand Cäsar, begann. Wie man ferner über die
Ausgrabungen und Freilegungen des alten Forum
Romanum unter Leitung des Abbate Kea urteilte,
geben die Briefe Wilhelm v. Humboldts zu erkennen.
Er tadelt diese Scheußlichkeit", weil sie höchstens ein
Gewinn für die Gelehrsamkeit auf Rosten der Phan-
tasie sei, und den Durchbruch um den Bogen des
Septimius Severus verurteilt er besonders, da man
um dieses mittelmäßigen Runstwerkes willen den
„schönen Eingang auf den Campo Vaccino durch den
mehr als halbverschütteten Bogen hindurch" ver-
dorben habe. Noch härter klingen die Worte des
Malers Josef Anton Roch: „Daher wühlen sie be-
sonders in Rom auf dem Campo Vaccino gleich
Maulwürfen und zerstören alle Reize der Natur,
welche sich mit der alten Runst vermählte und har-
monisch vereinigte. Sie putzen den rankenden Efeu
und das wuchernde Gebüsch der Steineiche ab und
streichen die nackten Trümmer mit der Lakaienfarbe
der modernen Baukunst an, machen hölzerne Pali-
saden um den Eingang des Kriedenstempels, einem
Hühnerstall gleich". Oie Schwärmerei einzelner für
das Morgenrot der Freiheit, das die Franzosen-
herrschaft kündete, legte sich gar bald. Kernow und
der Däne Zoega, ein treuer Gefährte aller Deutschen
in Rom, hatten mit um den Baum der Freiheit ge-
tanzt und gewaltige Reden geschwungen. Oer
idealistische Rantianer hatte geglaubt, daß mit der
Verkündigung der Menschenrechte auch der Rantsche
Pflichtbegriff Allgemeingut werde, und der Alter-
tumsforscher sah in den Festlichkeiten die „herrlichsten,
die seit den Zeiten des alten Rom veranstaltet worden
sind". Aber bald sollten die Tatsachen sie eines anderen
belehren: ,,Oie goldene Freiheit erwies sich als ein
Gemisch von Despotismus und Anarchie." Not und
Armut führte sie in ihrem Gefolge.
Nur ganz vereinzelte Rünstler fanden in diesen
schlimmen Zeiten ständigen Wechsels der Regierungs-
formen und der allgemeinen Sicherheit Verdienst und
Anerkennung. Canova war schon 1798 in seine vene-
zianische Heimat zurückgekehrt, obgleich der General
Bonaparte ihn in jeder Weise hatte auszeichnen
lassen, „denn die französische Nation legt großes
Gewicht auf die Talente, die Euch zieren". Wer
nicht in Rom zu bleiben gezwungen war, folgte dem
großen Bildhauer. Immer mehr schmolz die deutsche
Rolonie zusammen, so daß Kernow im „Deutschen
Merkur" berichten konnte: „Noch vor wenigen Jahren
lebten über 50 deutsche Rünstler in Rom, jetzt mögen
kaum noch 15 dasein."
 
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