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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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v. Bülow, J.: Heimfahrt zu Weihnachten
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Langhein, Carl: Friedrich Lißmann †
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https://doi.org/10.11588/diglit.57056#0191

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XV, Heft Die Werkstatt der Kunst.^8?
das Fest der Liebe verschönern wie noch nie, daß ihr zertrümmern, daß sie Frieden geben müssen und ein
meint, es sei Frieden und den Krieg draußen vergeßt. Weltweihnachten kommt, ehe der Frühling erwacht.
14 lange und doch so kurze Tage. Dann aber werdet Und morgen werden wir die Botschaft hören und sie
ihr wieder hinausgehen mit frischen Kräften und sie glauben, vom Frieden auf Erden! I. v. Bülow.
frieäriek LiKmann
von L. Lang Hein.*)
„Alles Unheil ist Schicksal!" (Edda).

Um 27. September ist Friedrich Lißmann bei
Ijpern gefallen. Gestern Übend erfuhr ich's, zufällig,
aus einem achtlos zur Seite gelegten Zeitungsblatt,
in einem Augenblick des Lachens und der Fröhlichkeit.
Beides ist mir rasch vergangen! —
Ein grauer, nebliger Herbsttag hat einen grauen
Abend gebracht) nur im Westen teilt sich die Nebelbank
und rötlich-gelbe Wolkenfetzen schauen über den See-
deich. Blasses Abendlicht huscht über Wasser und
Vorland, spielt um die Masten der kleinen Fischerflotte
und läßt die kleine dunkle Gruppe der Fischer auf dem
Deich noch schwärzer erscheinen. Ich weiß, wovon
sie da oben auf dem Deich sprechen: „Lißmann is
blevn!"
wir haben ihn hier alle lieb gehabt. —
vor mir auf dem Schreibtisch liegen noch seine
letzten Briefe, die am Tage vor seinem Tode einliefen.
Ganz zag und schüchtern ist darin zum ersten Mal die
Nede von seinen Absichten, bei einem etwaigen
Waffenstillstand das Gelände vor dem Schützengraben,
das Kampffeld seit vielen Monaten, zu zeichnen mit
all seinen Scheußlichkeiten. Jetzt nicht, aber später,
vielleicht! Auch davon schreibt er, daß wir—vielleicht
— doch noch einmal wieder zusammen sitzen würden,
daß dann das große Erzählen beginnen sollte —
vielleicht!
Es sind keine fröhlichenund leichtsinnigen Soldaten-
briefe gewesen, die er aus dem Felde schrieb. Zu scharf
hatten seine Maleraugen in all die Greuel hinein-
gesehen, zu sehr hatte sein Herz gelitten unter dem
gräßlichen und häßlichen Drum und Dran des Kriegs-
lebens.
wie Todesschatten liegt es auf all den Brief-
blättern, wie dumpfes Ahnen eines baldigen Endes.
Diese im Unterstand oder in elenden (Quartieren eng-
beschriebenen Seiten, 'auber und klar wie der Mensch
Lißmann, atmen keine Spur von Furcht oder bangem
Klagen) aber eine grenzenlose Wehmut spricht aus
ihnen, eine Trauer um die gestorbene Schönheit. —
Auch wohl ein leiser Ekel vor all dem widersinnigen
und Schmutzigen, was diese Art von Krieg ohne
fröhliche Märsche, ohne Singen und Wanderburschen-
seligkeit dem Soldaten bescheerte.
Und eine Absage an die Kunst und an künstlerische
Betätigung unter solchen äußeren und inneren Zu-
ständen! Dieser sichere und reife Künstler, der das
handwerkliche meisterte wie wenige und aus tief-
innerem Erleben heraus zu schaffen wußte, wehrt sich

*) Aus „Bühne und Welt", Januarheft 1916.

entschieden dagegen, unter solchen äußern und innern
Umständen Erlebnisse im Bilde festzuhalten.
Nach monatelangem Verweilen in der „Schlamm-
hölle", den Schützengräben, bringen ihn einige freie
Urlaubsstunden nach Ostende: „ich sah das Meer,
zum ersten Mal seit langer Zeit wieder, und ein großes
Heimweh wollte in mir aufsteigen". —
Unsere große gemeinsame Liebe, die Küste und
das Wasser, hatten einmal noch ihren getreuesten Ver-
ehrer und innigen Verkünder kurz vor seinem Ende
gegrüßt) von belgischer Küste sind seine Gedanken noch
einmal den weg gezogen, den der Islandfahrer Liß-
mann in glücklicheren Zeiten auf schnellem Kiel des
öfteren zurückgelegt hatte, —„und ein großes Heimweh
wollte in mir aufsteigen". —
„weißt du, Vaterstadt Hamburg, was du an
diesem deinen Sohn verloren hast?, wie er dich und
deine Elbe liebte, wie er mit seinen reinen Maler-
augen deiner Schönheit nachging, wie er tiefe Einblicke
tat in das Leben unsrer geheimnisvollsten Tierwelt,
der Seevögel, und wie er das Geschaute schildern
konnte mit Stift und Farbe, wie kaum einer vor
ihm?" — '
Oie Elbe hinunter, über die Nordsee trieb ihn alte
Wikingersehnsucht) nicht nach des Südens lockenden
Gärten, nach „Nordlands eisigem Fels im Meer" zog
es ihn. Und auf Island fand er die Erfüllung dessen,
was deutsche Ost- und Nordseeküste ihm verheißen
hatten: eine unberührte Tierwelt, eine Landschaft von
einer kaum geahnten Großartigkeit und Majestät, nur
selten von eines Menschen Fuß betreten.
Oie Ostsee, die Niederelbe, Islands Küste und
innere Gebirgswelt mit ihrem vielartigen Tierleben
haben Lißmanns künstlerisches Schaffen bestimmt. In
der Liebe zum Zarten und Feinen traf er sich mit den
Japanern, von denen er manche Ausdrucksform über-
nahm, verarbeitete und sich zu eigen machte. Eine
Reihe prächtiger Holzschnitte von seiner Hand zeigen
den sichern Graphiker, der Tier und Landschaft in
breiter, fast ornamentaler Behandlung und Auffassung
zu geben weiß.
Aber der ganze Lißmann kommt erst zu Worte
in seinen Bildern. Ls ist bezeichnend für den Künstler
und Menschen Lißmann, daß er mit der schwerflüssigen
und körperhaft wirkenden Gltechnik nicht viel an-
zufangen weiß) die Tempera, dieses duftige und
schmiegsame Material bietet ihm die meisten Möglich-
keiten. Rauschendes Schilf und glitzernde Wasserläufe,
huschendes Strandgevögel oder mit schwerem Flügel-
schlage gravitätisch daherziehende Wildschwäne und
 
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