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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Kunze, Max [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0042

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Statuen im Belvedere-Hof

Die Alten haben insgemein gesucht den Leib als die größte Maße am gantzen Körper nicht durch-
zuschneiden mit anderen Gliedern, wenn es hat seyn können: zum wenigsten haben die alten und ge-
schicktesten Griechen allezeit dieses beobachtet und haben den thorace groß gehalten, die Brust stark,
den Rippen Schlus erhaben und durch diesen Stil ist auch diese Figur [charakterisiert!. Die Stirn ist kurtz
und theils mit runter gefallenen Haaren bedeckt, so aber itzund abgebrochen. Es scheinet als wären die 5
mit einem Lorbeer-Crantz umgeben gewesen. Die Haare sind gar schön geworfen wie auch der Bart, fast
auf dieselbe Art gearbeitet wie der Apollo seine. Sie sind von der Stirn aufwärts gekämmt auf dieselbe
weise wie man im Alterthum den Jupiter, Neptun und Esculap wie auch den Alexander [vorgestellt!. Es
ist zwar zweifelhaft ob diese Art [das Haar] zu tragen jemahls Gebrauch gewesen. Anacreon. Medaillen
und wer sonst beschrieben Menschen vom Haupt bis auf die Füße. Medaille von Ptolem. 10
[p. 8/185] Die Stirn ist <kurtz und> Hein, sehr aufgeschwollen, ohne Runtzeln: die Augenbrauen
sind mit einer herrlichen expression in die Höhe und zusammen gezogen: die Augenlieder sind von dem
aufgeschwollenen oberen Augen=Fleisch fast bedeckt [,] die Augen Hein worden. Der Künstler hat mit
dem unaussprechlichen Verstand den Augen eine Weichigkeit gegeben, so fast trübe Augen ausdrücken.
Die Backen sind aufwerts gezogen und helfen die unteren Augenlieder in die Höhe zu drücken. Die Nase 15
ist überhaupt schwülstig: Die Nüstern sind zwar aufgeblasen, eine Art von Zorn anzudeuten, zugleich
ist auch die Nase zusammengezogen über die Nüsten, so daß es dadurch eine herrliche Expression der
Angst in welchen der Mensch sich befindet, giebet, auch dadurch unterscheidet sich über die Maßen
wohl das Gebein der Nase von dem knorplichen und fleischigten Theil. Der Mund ist zwar offen aber
auf eine Art so mehr ein ängstliches Klagen und Schmertz ausdrückt als ein starkes Schreien. Dieses ist 20
eine sehr natürliche und vernünftige expression weil ein großer Schmertz nicht erlaubt den Mund weit
zu eröfnen, in dem er die Nerven und Sehnen aber zusammenziehet, so wäre <der Mund> ein mehr
eröfneter Mund eine Ausdrückung eines Erschreckens und nicht des Schmertzens wahrhafte Vorstellung.
Wenn gleich Virgil von einem schrecHichen Geschrey sagt, so ist es [nicht] nöthig, daß die Ofnung
des Mundes groß sey, weil ein heftiger Schmertz dergleichen ein großes Schreien äußern kan ohne den 25
Mund weit zu eröffnen.
Die gantze Physionomie des Gesichts scheinet als ob sie einem Neptun oder Jupiter fast ähnlich wäre
und nur durch die expression verändert, ausgenommen die Nase, so <sich> unmöglich in der expression
des Schmerzens die Gerade und obere Fläche [hat] behalten können. Der Hals ist herrlich gebeuget. Die
Schulter breit und groß. Der obere Arm und die Zehen am linken Fuß sind restaurirt; sonst ist alles an 30
der Figur des Vaters antique, aus genommen der Kopf der Schlange so ihm in die Seite beißt.
Diese Figur ist wahrhaftig vor wunderwürdig zu halten [p. 9/184] so wohl wegen der <schön> großen
Verständniß der Anatomie [und] den herrlichen Character; so gantz wunderwürdig durch die gantze
Figur derselben ist. Sie ist gantz mit dem Meißel ausgearbeitet ohne Raspel und ohne geschliffen zu
seyn. Man siehet die Meißel-Striche mit der größten Behutsamkeit nach der Form der Muskeln und 35
Adern geführt.
Die Söhne des Laocoon sind auf selbe Art gearbeitet, aber bey weiten nicht so schön. Der ältere Sohn
ist viel härter wie wohl in dem Gesicht ein sehr schöner Ausdruck des Klagens sich zeiget. Die Proportion

30 und die Zehen ... Fuß nachgetragen 55—56nach getragen 33 Die nachgetragen
 
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