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jradc nich ieber bitte Jebirje, aber Jebirje sind vor uns, die wir icberhaupt
nich unter vier Treppen wohnen, ooch jrade nich neethig, wir klappern uns
de Knochen jenug bei't Treppensteijen ab.

Warste vielleicht in Deinen Leben schon mal uff'n Spandauerbock, lieber
Jacob? Ra, da mußte hin, wenn De mal nach Berlin kommen solltest, 1
denn da is et jrade zu Ostern wirklich zu scheen. Ick sage Dir, de Spree
die seht aus, als ob Eener 'n dreckijet Handtuch zum drocknen hinjelegt hat,
un ringsum de Wiesen, die sind glatt wie'n Eierkuchen, lln drieben sechste
denn den Spandauer Juliusthurm, un da beschleicht Dir denn een Jefiehl
von Wohlhabenheit, als ob Du selbst een vierzigfachcr Dahlermillionär wärst.
Det mechtest De woll mal sind, Jacob? Na, nu sei man nich so jierig,
an de Hälfte wirdest De woll ooch jenug haben. Un denn sechste ooch
jleich die Schornsteene von de königlichen Fabriken, die jetzt alle zu sojcnannte
Musteranstalten umjearbeet werden, wo jeder Arbeiter zu seine persönliche
Bedienung eenen jallonirten Kameruner kriegt mit Kniehosen. Na, ick bin
froh, det ick keene anzuziehen brauche, denn mein Unterjestelle is man ver-
dammt krummbeenig un wacklig.

Aber ick bin wirklich ooch een Schafskopp — von unsere schecne Natur
will ick Dir wat erzählen un komme uff meine Beene zu sprechen. Schließ-
lich werde ick vielleicht noch mal ieber Deine Hicneroogen reden — na, nu
mach man nich jleich so'n tickschet Jcstcht, lieber Jacob, wenn De keene hast,
denn iS ja die Sache icberhaupt nich de Rede Werth. De meisten Menschen
kennen et nich verdragen, wenn se uff de Hieneroogen jetreten werden, am
Allerwenigsten de Nationalliberalen. Die haben sich jetzt in letzter Zeit
beese verkriemclt, den Knax, den se bei de Wahlen jekriegt haben, werden
se woll so leichte nich verjesscn. Davor kommen ihre Zwillingsbrieder, de
Stöckerianer nu wieder uff et Tapeet. Ick denke, mir laust der Affe, wie
ick neilich in de Zeitungen lese, det der hochehrwierdije Hoffpredijer Adolf
Stöcker mal wieder in 'ne christlich-soziale Frömmlingsversammlung uff de
Rednertribicne jeklettert is. Ick dachte wirklich, der Mann wer schon dort,
aber da hatte ick mir mal wieder nich schlecht verjalloppirt. Nee, er red't
wirklich. Du brauchst deswejen aber keene Bange zu haben, det ick Dir
vielleicht hier nochmal vorkauen werde, wat er jeredct hat. Nee, mir un
Dir wird die Thatsache jeniejen, det er wieder aus de Versenkung uffje-
taucht is, un die eene Thatsache red't ja allecne janze Bände. Stöcker hat
seit langer Zeit mal wieder 'ne wirkliche unjetriebte Freide jehabt, als er seinen
Fremd un Bundesbruder Willem Pickenbach an sein Herz drücken konnte.

Sonne Handvoll Antisemiten die mißte man wirklich mal nach Blum-
bcrg schicken, da werden se denken, Ostern und Fingsten fallt uff eenen Dag.
Ach so, Du wceßt woll nischt von Blumbcrg? Det is ja det fliest, wo se
de Sozialisten bei de Stichwahlen so beese jchauen haben, det de Meisten
heite noch krank zu Bette liegen. Die Blumberjer Bauernflapse haben de
Sozialisten jewiß vor den nationalen Erbfeind jehalten, der ihnen de letzte
Kuh aus ihre olle verräucherten Ställe holen wollte. Da waren se ja nu

uff 'n Holzweg, aber bei die jroße Keilerei sind ooch janz bestimmt andere
Leite mang jewesen, die die dämlichen Bauern erst uffjeputscht haben. Die
Briedcr sitzen nu in 'n Hinterjrund un jecken sich Eens, un die Bauern
missen nu wejen ihre Dämlichkeet die Jeschichte ausbaden. Denkste, die
werden jetzt hier in Berlin eene Kartoffel oder een Brot oder een Liter
Milch los? Bei de Arbeeter nich, so wat jiebt's denn nu doch nich. Nu
kennen se ja ihre dicke Milch an die Leite verkoofen, die ihnen den Schnaps
spendirt haben, damit se ooch die neethige Courage hatten, um mit 'n paar
Hundert Mann über een halbet Dutzend harmlose Menschen herznfallen.

Bon die Bauern wollen wir uns aber nu unsere Feierdage nich ver-
ekeln lassen. Det paßt uns einfach nich. Wir wollen Ostern feiern, mit
Ostereier un Alles, wat dazu jehcert. Von 'ne Blumberger Henne wird
aber kecn Ei jcfärbt un jekocht, nich in de Hand, un wenn de Blumberger ihre
Eier nich los werden, denn kennen se se allecne ausbrietcn, denn haben se
wenigstens Zeit, daricbcr nachzudenken, wie se anständije Leite zu behandeln
haben, womit ick mit den Wunsch uff verjniegte Feierdage vor alle unsere
Fremde verbleibe erjebenst un mit bitte Jrieße Dein tretet:

Jotthilf Naucke
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelspähne.

Wenn die Sozialdemokratie nach Pindter
nur eine „französische Kolonie" in Deutsch-
land ist — wie konnte man denn das Sozialisten-
gesetz gegen sic anwenden, welches mit „französi-
schen Kolonien" doch nicht das Geringste zu thun hat?
* *

*

Das deutsche Volk in allen Sachen
Will stets dem Kanzler Freude machen;

Er wollte, daß drei Dutzend Sozialisten
Im Deutschen Reichstag sitzen müßten;

Sieh' her, da sitzen sie drinnen schon —
Das ist doch eine brave Nation!

* *

*

Ich habe jetzt eine Arbeit vor, zu der ich
das festeste Holz und die dicksten Bretter brauche.
Ich zimmere nämlich den Sarg für den gegenwärtig ziemlich unsanft ent-
schlafenen Sankt Manchester und muß dazu möglichst dauerhafte Arbeit
liefern, denn man kann nicht wissen, ob der Kerl nicht etwa blos sch eint o dt ist.

* *

In der Ostcrzeit haben die Polizeispitzel die meiste Konkurrenz,
denn da kümmert sich jedes Kind um ungelegte Eier.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

„Wenn der Gensdarm durchkommt, soll er den Vaganten nach der
Stadt mitnehmcn", befahl der Gestrenge.

„Zu Befehl!" antwortete der Büttel und ging ab.

„Aber Vater", sagte Rosa, die älteste Tochter, „könntest Du den armen
jungen Menschen heute nicht herauslassen? Es ist ja Ostern."

„Um so weniger hat er zu betteln."

„Aber zu Ostern giebt man den Bedürftigen gerne etwas", meinte
Marie, des Schulzen Liebling.

„Schweig", rief er und stieß sie rauh zurück, als sie ihm die Wange
streicheln wollte. „Was versteht das Weibervolk davon? Er soll uns keine
Landplage auf den Hals ziehen."

Die Mädchen schwiegen, denn mit dem Alten ließ sich heute offenbar
nicht spaßen. Aber heimlich beriethen sie, wie sie dem Gefangenen eine
Erquickung und Stärkung zustcllen könnten, denn der Büttel hatte ihnen
wider seinen Willen eine ergreifende Schilderung von den Anstrengungen
solcher Wanderer gemacht, und dann hatte er bemerkt, es sei eigentlich ein
ganz netter junger Mann.

Inzwischen wartete der Schulze ungeduldig auf den Boten aus der
Stadt. Dieser sollte ihm einen ganz neuen Anzug bringen, einen blauen
Rock mit silbernen Knöpfen, dazu eine rothe Weste und eine gemslederne
Hose; ferner hohe blanke Stiefeln. In dieser Gewandung wollte sich der
Schulze am ersten Osterfeiertag der Gemeinde in der Kirche zeigen und das
ganze Dorf war gespannt auf das Schauspiel.

Der Bote kam und brachte den Anzug. Als der Gestrenge zur Probe
in den prächtigen blauen Rock mit den silbernen Knöpfen hineinfuhr, platzte
die Gewandung auf dem breiten Rücken des Schulzen jäh auseinander und
nicht nur der Naht nach.

Die Wuth des Schulzen war groß, denn wenn er mit dem neuen Gewand
nicht morgen in der Kirche erschien, durfte er sicher sein, allgemein ver-
spottet zu werden; man hatte schon zu viel Aufhebens davon gemacht. Man
schickte nach dem Dorsschncider. Allein dieser hatte sich schon ein Räuschlein
angetrunken und schnarchte, als sollten ihn die Posaunen des jüngsten Ge-
richts nicht aus dem Schlafe wecken.

Der Schulze tobte und wetterte. Rosa aber sprach: „Ich weiß einen
Rath. Der fremde Schneider" ....

„Der Vagant, der Bettler!" tobte der Schulze. „Den kann ich nicht
brauchen."

„Danit kannst Du eben auch Deinen Rock morgen nicht anziehen",
sagte das Mädchen ruhig.

„Das Weibervolk hält's mit zcdem Landstreicher", schrie grimmig der
Schulze. Der geplatzte Rock machte ihn aber doch gefügig, so daß er den
Schneider holen ließ.

Gottlieb Heim war erstaunt, als er so bald wieder in Freiheit gesetzt
wurde. Als ihn der Büttel zum Schulzen gewiesen, betrat er aber doch
mit etwas bangen Gefühlen den Hof. Er hatte die Bauern heute kennen
gelernt.

Auf der Treppe huschte Rosa an ihm vorbei und flüsterte: „Verlanget
als Lohn, daß er Euch frei läßt!"

Heim war angenehm berührt; er fand also hier wenigstens Mitgefühl
vor. Er faßte Mnth und ließ sich durch die barsche Behandlung des Schulzen
nicht erschrecken. Als er den Rock besichtigt hatte, sagte er:

„Ich will ihn Euch zurecht machen, aber nur unter einer Bedingung!"

„Wa—a—a—as? Bedingung?" tobte der Schulze.

„Ja", meinte Heim kalt. „Ihr gebt mir ein anständiges Nachtquartier
und laßt mich morgen ruhig meiner Wege ziehen. Sonst rühre ich den
Rock nicht an."

Alles Wüthen des Schulzen war umsonst. Heiin sagte: „Ihr könnt
mich einsperren, aber mich nicht zwingen, den Rock zu machen."

So gab der Schulze endlich nach und die Mädchen ergriffen die Ge-
legenheit, den Fremden die ausgestandenen Strapazen vergessen zu machen.
Sie rückten ihm einen Tisch an den warmen Ofen, wo er bald emsig mit
Nadel und Scheere hanffrtc; sie setzten ihm einen vortrefflichen Imbiß vor
und plauderten freundlich, mit ihm, wobei Gottlieb Heim der Rosa gar
freundlich in die blauen Äugen schaute. Auch der Schulze fand bald, daß
der Fremde „gar kein übler Kerl" sei. Heim wußte zu erzählen von den
bereits durchwanderten fremden Ländern und würzte die Darstellung mit
manchem trefflichen Seitenhieb auf die sozialen Zustände, was den Schulzen
oftmals zu einem stunimen Kopfnicken veranlaßte. Er mußte sich sagen,
daß die sogenannten „Vagabunden" oft geschcidtere Menschen seien, als
die Bauern, die nichts gelernt und nichts vergessen hatten.

Der Rock wurde fertig; die Naht war zugenäht und der Riß so sauber
gestopft, daß der Fehler kaum zu sehen war. Vor Freude drückte der Schulze
unserm Schneider einen harten Thaler in die Hand und räumte ihm ein
gutes Bett ein, worin der Künstler von der Nadel bald den Schlaf des Ge-
rechten schlief.

So hatte der Schneider Gottlicb Heim auch seinen fröhlichen Osterabend,
und während ain anderen Morgen der Schulze in dem blauen Rock gravi-
tätisch zur Kirche schritt, befand sich der Schneider auf dem Wege zur Stadt,
nachdem ihn die Schwestern noch reichlich mit Proviant versehen.

Der Schulze war von da ab milde gegen die Handwerksburschen.
Gottlieb Heim aber hat in der Stadt gute und lohnende Arbeit gefunden
und wird nächstens einmal das Dorf besuchen. Wenn Rosa noch zu haben
ist, wer weiß, was dann geschieht!
 
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