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8

Sechste, da bin ick mit een Mal Widder uff'n Reichsdag. Bei de
Deitschfreisinnijen da haben se ja nu Frieden jeblasen. Nu is aber de
Freide jroß, det se sich Widder zusammenjekompromißt haben, un et is nn
jlicklich so weit jekommen, det jeder Freisinnije uff sein eenet Been eenen
Wasserstiebel un usf det andere eenen Wadelstrumpf ziehen muß, wenn er
bei Keenen von die Haupthelden Anstoß errejen will. Scheen seht det
iebrijcns jrade nich aus, aber det helft nischt, wenn man cenmal deitsch-
freisinnig Heeßen will, denn muß man ooch Opfer bringen. Det erfordert
det politische Standesbewußtsein.

Jauz abseits von den Trubel von de hohe Politik haben sich de Anti-
semiten in'n Reichsdag zu 'ne Fraktion zusammenjedahn. Böckel is erster
Vorsitzender, Werner — zweeter, Zimmermann — Schriftführer und Willem
Pickenbach — Schatzmeester jeworden. Wat lachst De eejentlich, Jacob?
Warum kann Willem nich Schatzmeester sind? — Un Liebermann von
Sonncnberg? Vor den war keen Amt mehr ibrig, der spielt „Volk".

Meine erjebenen Jrieße, die ick Dir sonst immer an'n Schluß von
meinen Schreibebrief iebermittle, muß ick diesmal vorwegnehmen, indem ick
mit een Privattelejramm schließe, wat mir soeben zujcht un det heeßt: „Vor
Friedrichsruh nischt Neiet". Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Zur Sprachreinigung.

Wir haben häßliche Fremdworte in der deutschen Sprache. So sollte
z. B. das Wort Servilismus ganz bei uns verschwinden, auch das Wort
Chauvinismus ist abscheulich, man sollte nie Veranlassung haben, cs
auszusprcchen. Das Wort Liberalismus ist ebenfalls unbrauchar und
werthlos geworden, dagegen verdiente das Fremdwort Demokratie recht
weiter Verbreitung bei uns. Die Fremdworte Spekulation, Fallisse-
ment, Bankerott rc. sollten aus unserem öffentlichen Leben verschwinden,
auch das Wort Kapitalismus bedarf einer gründlichen Säuberung.

Das sind verwerfliche Frcmdworte, aber warum bei den Fremdworten
stehen bleiben? Haben wir nicht z. B. das echte deutsche und doch so häßliche
Wort Streberthum? Ist es deutscher Mauuesscelen würdig, daß dieses
häßliche Wort eine Rolle spielt? Und wenn wir das Fremdwort Spionage
verwerfen, ivaS ist gewonnen, wenn wir die deutsche Bezeichnung Spitzel-
thnm an seine Stelle setzen müssen? Sind wir dadurch moralischer ge-
worden? Ja, das jüngste Kind der ungeheuer großen deutschen Wörter-
familie, das echt deutsche Wort Lockspitzel, was ist das für eine Mißgeburt!
Wollen wir die Sprache reinigen von Bezeichnungen, deren Anwendung unser
nationales Ehrgefühl demüthigt, dann vor Allem hinweg mit dem neuen
Worte Lockspitzelthum; es sei nie mehr Stofs dazu gegeben es anSzu-
sprechen, dann ist die deutsche Sprache wieder in einem wesentlichen Punkte
gereinigt. Wir haben aber noch viele deutsche Worte, die keinen Schuß
Pulver werth sind. Aus dem industriellen Leben sollen die Worte Arbeits-



losigkeit, Lohnabzug, Maßregelung, insbesondere das Wort schwarze
Liste, welches überall, wo es auftaucht, der deutschen Ehrlichkeit und Bieder-
keit Schande macht, verschwinden. Das Wort Arbeiterschutz dagegen,
so viel es jetzt auch schon genannt wird, bedarf einer noch viel gründlicheren
Verbreitung und muß mit mehr Ernst und Nachdruck gesprochen werden.
Das ist die wahre Sprachreinigung, wenigstens für Leute, welche die
Worte nicht blos der Worte willen aussprechen — für letztere .genügt die
Fremdwörterjagd —, sondern die damit auch etwas sagen wollen.

Hobelspähne.

Wenn uns der Juli mit der Gewilteratmo-
n] sphäre auch manchmal lästig wird, so ist er uns

, II doch noch lieber, wie das Militärbudget, denn

tl)l / Ir '»an weiß im Juli wenigstens, daß der Sommer

' Vf/ I0L* II seinen Höhepunkt überschritten hat, beim Mtilitär-

Budget weiß man aber niemals, ob es seine» Höhc-
| Punkt schon erreichte, oder ob es uns in Zukunft

W not^ ^e'^cr 5iife^en

Im Arbeiterschutze bei Tag und Nacht,
l' 1 Da werden der Ausnahmen viele gemacht,

Damit durch zu große Fürsorge uie
Geschädigt werde die Industrie,

Und nur bei de« Steuerzahlcns Pflicht,
vFii? — Da gicbt'S für die Arbeiter Ausnahmen nicht.

* *

Der Konflikt int deutschsreisinnigen Lager Hai einen sonderbaren Aus-
gang genommen. Der kleine Hänel wollte bekanntlich nicht leiden, daß
der große Eugen immer Hahn im Korbe sei. Aber kaum hatte man Eugen
Richter den Korb gegeben, da war er schon wieder der Hahn darin.

* *

*

Die Lasten zu reduziren,

Da wollten wir „kompensiren"

Durch Dienstzeitverkürzung, — indessen,

Wir hörten, das sei zu vermessen.

Wir dürfen nicht« Greifbares fassen,

Nur Eines wird zugelassen:

Wir können die Kompensationen
Uns malen in Resolutionen.

* *

. . 4-

Unser gegenwärtiger Reichskanzler ist so liebenswürdig, daß ihm
der Reichstag gar nichts abschlagen kann.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

„Aber ein Bismarck-Denkmal", sprach der Maler, „ist der Zweck viel-
leicht weniger erhaben?"

„Gewiß nicht!"

„Nun, so mach' ich einen Vorschlag. Sie veranstalten ein Fest, einen
Ball zu Ehren des Kanzlers und zeigen dadurch, daß sie ihn Hochhalten und
verehren, auch wenn er nicht mehr im Amte ist."

„Gut!"

„Und alle Fcsttheilnehmer bringen ein Opfer für das Denkmal. Ich
werde mich vorstellen, und werde auch dem Dcukmal-Komite die Gaben
übermitteln."

„Vortrefflich", sprach der Bürgermeister.

„Ein solch leuchtendes Beispiel wird in ganz Deutschland einen heiligen
Eifer erwecken und die Gaben werden reichlich fließen."

„Für den Uebcrschuß kann das Komite dem Fürsten dann ein Stück
Land kaufen, wie die Hamburger", meinte der Bürgermeister.

„Das werden wir sehen", meinte der Maler. „Aber vor Allem das Fest."

Das Fest fand statt und die „goldene Jugend" von Klein-Hammelshausen
war vollzählig bei demselben vertreten. Es wurde kräftig geschmaust und
gezecht; dann räumte man die Tische hinaus und es begann ein lustiges
Tänzchen. Die Alten schauten den Jungen vergnügt zu. Die Blicke der
Damen richteten sich auf den interessanten Fremden, der mit dem Bürger-
meister gekommen war und auch die Huld der regierenden Frau Bürger-
meisterin errungen zu haben schien, denn er war bei jeder Pause an ihrer
Seite. Er tanzte viel und sie konnten seine elegante Erscheinung, sein welt-
männisches Auftreten nicht genug rühmen.

Bald rief man die Fcsttheilnehmer in einen anderen Saal. Dort war
eine Rednerbühne aufgeschlagen und der Bürgermeister pries in feuriger
Rede die Verdienste des großen Staatsmannes, der nun in Friedrichsruh
sitze und dem Lauf der Dinge von hoher Warte herab zuschaue. Er appellirte
an die patriotische Opferwilligkeit und forderte Frauen und Mädchen auf,
wie 1813 zu verfahren und der Nation ein Beispiel zu geben, damit dem
größten aller Staatsmänner ein würdiges Denkmal gesetzt werden könne.

Da ergriff die Klcin-Hammclshäuser eine nie gesehene Begeisterung.

Ein Tisch ward hereingebracht und auf den Tisch legten die Patrioten
nieder, was sie geben konnten. Die Männer warfen ihre Börsen auf den
Tisch und blieben dem Wirth die Zeche schuldig; die Mädchen opferten ihren
Schmuck, Brechen, Armbänder, Medaillons, Ringe, und was sie gerade
trugen. Sogar ein kostbares Strumpfband lag da.

Nun stellte der Bürgermeister der Versammlung den berühmten Maler,

den Freund de« Fürsten vor. Mit brausenden Hochrufen ward der Künstler
geehrt-und er dankte mit Thränen der Rührung. Er werde dem Fürsten
persönlich über die erhebende Szene berichten, sagte er, und werde dem
Dcukmal-Komite, dessen Beauftragter er sei, die Spenden übermitteln. Ganz
Deutschland werde sich au dem großartigen Beispiel von Klein-Hammelshausen
begeistern.

Ein Beifallssturm brach aus; die Tochter des Bürgermeisters aber, die
schöne Laura, die als die erste Schönheit der Stadt galt, trat vor und gab
dem Künstler im Namen des Vaterlandes einen feurigen Kuß. Der Maler
gab ihr wieder einen und sagte, er habe den Kuß der Dame angenommen
und erwidert im Namen des Fürsten Bismarck.

Abermaliger Jubel!

Mehrere ältere Damen machten hierauf den Versuch, gleichfalls im
Namen des Vaterlandes den Künstler zu küssen, aber er wußte sich dem
gewandt zu entziehen . . .

Den Morgen darauf saßen der Bürgermeister und seine Frau beim
Frühstück.

„Das war ein Fest!" sprach er, „ganz Deutschland wird davon sprechen.

Wir werden berühmt."

„Denke Dir!" sprach sic, „unsere Laura hat sich noch gestern Nacht ihr
schönes Haar abgeschnittcn und es dem Künstler heute Morgen geschickt, so
begeistert war sie!"

In diesem Augenblick kam das Dienstmädchen aus dem goldenen Bären
zurück mit dem Haar der schönen Laura. Der Künstler sei schon abgereist,
sagte sie.

Mit ihr trat ein fremder Herr herein und stellte sich dem erstaunten
Bürgermeister als Polizeikommissar aus der Kreisstadt vor.

„Ich hätte gern Ihren Besuch gesprochen!" sagte er.

„Sie meinen den Maler Lenbach?"

„Ja", sagte der Kommissar mit feinem Lächeln, „aber er heißt eigentlich
nicht Lenbach, sondern Schulze und —"

„Und?" schrie zitternd der Bürgermeister.

„Ist ein schon mehr als dreißig Mal wegen Betrugs bestrafter Hoch-
stapler, ein ehemaliger Schauspieler, der sein Publikum kennt und es zu
rühren versteht!"

„Der ist mit den Gaben durchgebrannt'.' rief die Bürgermeisterin, in
den Sessel zurücksinkend.

„Trösten Sie sich!" sprach lächelnd der Kommissär, „das schöne Haar
Ihrer Fräulein Tochter ist ja gerettet!"

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