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feinen Damen die junge sozialdemokratische Agitation ieberflissig wird, un
bet wir durch die Bazare uu Wohlthätigkeitsveranstaltungen janz urplötzlich
in een irdischet Paradies versetzt werden.

Na, im schlimmsten Falle — ick halte still, indem ick nämlich jrade in
die Hinsicht een Aas uff de Baßjeije bin, weil ick weeß, bet ooch uich mal
jräfliche un kommerzienräthliche Bööme in den Himmel wachsen. Wenn ick
so die Ekmipaschen mit de Jummiräder durch de Straßen jondeln sehe, un
die Insassen fiehlen sich so recht mollig in ihre Pelze un feinen Fußsäcke,
un ick sehe denn so'n armet Lnder von Arbeetslosen an eene Straßenecke
stehen mit so'n wiudijet Sommerjacket an, wo der Wind durch de Löcher
seift, denn finde ick et immer wunderscheen iujericht uff de Welt un ick freie

mir, bet ick ooch in die Welt bin uu uich raustrudle.

Ju die Wohnung von den Kriegsminister ist zum 1. Oktober ooch wieder
een Neier injezogen. Ick weeß eijentlich uich, warum de Leite da so oste

ausziehen. Et muß doch — von Außen jesehen —- janz bestimmt 'ne sehr

scheene Wohnung sei», un wejen bet bisken Jarten, wat se ihm hinten ab-
jeknöppt haben, da braucht doch der Mensch uich jleich zu ziehen. Ick for
meine Person muß mir von meinen Wirth mehr jesallen lassen, un derf »ich
mucksen — sonst fliese ick raus, un mein Schnuppduch voll Möbel behält
der Hauspascha denn womöglich ooch. Aber die Sache wird woll noch eenen
anderen Haken haben, an der Wohnung alleeue wird et woll uich liefen.

Ratierlich een Zivilist und seborener Reichskrippel versteht von mili-
tärische Sachen urscht. Ick weeß von den verfangenen Kriegsminister
blos, bet er bet iteie Jewehr iufefiehrt und zwee neie Armeekorps in-
ferichtet hat. Det wird woll uich feung fewesen sin vor bet Jeld, wat er
kriegt, un da nach det olle Sprichwort „neie Besen fut kehren", werden wir
woll von den neien Kriegsminister ooch neie un scheene Dinge zu erwarten
haben. Vielleicht kriegt nu jeder Reitersmann zwee Ferde und jeder Fuß-
soldat zwee Jewehre, uu wenn et so weiter jeht, denn richten se sich, wie
der Keenig von Dahomey, ooch noch 'ne Amazonenfarde in. kiff det
Institut freie ick mir iebrifens riesig, denn sowat wäre denn in Perleberg
doch noch uich dajewesen. Aber man soll uich sagen, wat ’ne Sache is, un
wat »ich is kann Alles noch werden. Vielleicht jloobst Du uich, det een
Hund ufs 'ne Weide klettern kann, aber man hat schon Nachtwächter bei
Dage sterben sehen, uu da kann mau denn jaruich wissen, wat noch Alles
passirt.

Na, die handvoll Ausjewieseueu, die det Sozialistenjesetz ieberstanden
haben, haben sich ja nu ooch jlicklich wieder injelebt, aber jetzt seht man erst,
wat det Jesetz wirklich vor Verheerungen aujerichtet hat. Hunderte sind
rausjejangen, un wer is zurückjekommeU? Ick kann Dir sagen, Jacob, da
blnt't Eenen det Herz, wenn man daran denkt, aber wat vorbei is, is
vorbei, daran können wir ja nu ooch nischt ändern.

Puttkamer war neilich in Berlin, wie in de Zeitungen stand — also
wird et woll wahr jewesen sind. Na, hier bei uns, an'n Jörlitzer Bahn-
hof, hat er sich nich blicken lassen: ick weeß ooch warum. Jedenfalls hat
er den richtijen Animus jehabt, det wir hier keene Oberpräsidentenstellen zu
verjeben haben, — womit ick verbleibe ergebenst un mit Lütte Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

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Holirlspähnr.

rjl Das Jahr 1890 ist ein ausgiebiges Wein jahr.

n / //,__ Es meinen namentlich die Kartellbrüder um

^ ^ ^ ^ öivlistengesetz.

«jps, Gegen die Sozialdemokraten wurden, um sie

endlich einmal gründlich zu vernichten, jetzt wieder
bischöfliche Hirtenbriefe erlassen. Ob diese Briefe
Pimil n^cl ’u sozialistischen Kreisen irgend welche Beachtung
&3n& finden werden, ist jedoch fraglich, denn wenn sich
1 die Bischöfe für Hirten halten, sind die Sozial-

’y'Wrp demokraten noch lange keine Schafe.

* *

Die aufopfernde Menschenfreundlichkeit der Libe-
raten zeigt sich jetzt im schönsten Lichte. Tagtäglich
machen sie sich in ihren Blättern Kopfzerbrechen und Kummer über das
sozialistische Programm, während doch ihr eigenes, das liberale
Programm, so durchlöchert, zerfetzt, zerrissen und beschmutzt ist, daß es den
Liberalen gewiß Niemand verdenken würde, wenn sie hier sorgten und
reparirten, ehe sie ihr mitleidiges Herz einer fremden Partei zuwenden,
deren Programm sich durchaus nicht in so traurigem Zustande befindet, wie
das liberale.

* *

-i-

Wenn die Bolksaufklärnng so fortschreitet, wie bisher, dann wird die
reaktionäre Masse bald anfhören, eine Masse zu sein.

* *

*

Es fließt so mild, so sonnig
Der schöne Herbst dahin,

Denn daß es jetzt keinen Bismarck mehr giebt,

Erheitert seinen Sinn.

Auch steht kein strenger Winter
Uns dieses Jahr bevor,

Weil Deutschlands Polizeigesetz
Die Giltigkeit verlor.

* *

*

Eine wunderbare Erscheinung ist es, daß das Rindfleisch noch immer
sich so hoch im Preise zu halten vermag, während es doch so unzählig viele
Ochsen in der Welt giebt.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Die Schntzzöllner.

Die Aankees lachen sich halb zu Tod,

Weil Ihr mit der Faust im Sacke droht.

Daraus geht für Euch die Lehre herfür:

Die Uankees sind noch brutaler als Ihr!

Guido von Donnersmarck glotzte die Balleteuse einen Augenblick wie
geistesabwesend an; dann sprach er mit mehr Geist, als Ella ihm zugetrant
hätte:

„Sie werden dem Publikum durch Einfachheit und natürliche Reize
gefallen."

Ella sah ihn schier spöttisch von der Seite an. Dann antwortete sie
ruhig:

„Da kennen Sie unser Publikum schlecht. Ich muß die Konkurrenz
aufnehmen; ich muß mir einen ebenbürtigen Schmuck verschaffen."

„Ach!" stöhnte der Lieutenant, hilfeflehend um sich schauend.

Sie schien seine klägliche Miene nicht zu sehen und fuhr 'fort:

„So werde ich denn mich zu einem Schritt entschließen müssen, der
mir schon im Voraus schlaflose Nächte macht und meine Thränen ohne Unter-
laß strömen läßt. Der Baron von Silberstein, der jüngst an der Börse
sieben Millionen gewonnen haben soll, hat mir umsonst den Hof gemacht,
ich habe ihn bis jetzt immer abgewiesen. Aber was bleibt mir nun übrig
als . . . ."

„Halt!" sagte nun hastig der Lieutenant mit dem Zeichen des höchsten
Schreckens, „Ella, ich, äh, ich werde Ihnen den Schmuck verschaffen, den
Sie wünschen. Wenn Sie ihn von einem Anderen annehmen, jage ich mir
zu Ihren Füßen eine Kugel durch den Kopf!"

„Um Gottes Willen!" schrie Ella auf.

„Sagen Sie mir nur den Juwelier und wie der Schmuck aussieht!"
sagte er, vor Erregung keuchend. Sie gab ihm Beides ans dann rannte
er fort.

Ella athmete auf. „Nun muß noch der Silberstein mit zehntausend
Mark dran glauben, und Beide müssen ewige Verschwiegenheit schwören",
sagte sie hellauflachend.

Noch am selben Abend erhielt sie von dem Lieutenant von Donnersmarck
den gewünschten Schmuck zngesandt, was sie mit einem sehr zärtlichen und
duftenden Billet ans rosenrothem Papier beantwortete. Bei der Vorstellung
errang sie einen Triumph über ihre Nebenbuhlerin. Sie ward erste Balleteuse
und ihr Lob erscholl in allen Blättern.

Zur selben Zeit ungefähr herrschte große Aufregung im Gebiete der
„väterlichen Ochsen" des Herrn von Donnersmarck. Der Vater des Lieutenants
fluchte eine „Schockschwerenoth" über die andere herunter, denn der Juwelier,
bei dem der Herr Lieutenant den Schmuck gekauft, hatte sich an den „Alten" |

gewendet, mit dem Bemerken, der Herr Lieutenant habe ihm sicher versprochen,
den für die Ballettänzerin gekauften Schmuck binnen acht Tagen zu bezahlen.
Die Juwelen kosteten die Kleinigkeit von siebentausend Mark. Im Nicht-
zahlungsfall wollte der Juwelier sich an das Regimentskommando wenden
und war so artig, den Alten zu warnen. Aber er brauchte sein Geld.

„Verfluchte Komödiantin, Leichtsinn, äh, keine dreitausend Mark baar
vorhanden", wetterte der Alte.

Die Mama, die immer des Sohnes Partei nahm, sagte energisch:

„Du hast ja gewollt, daß sich Guido austobe. Und er ist ein so lieber
Junge!"

Man berieth hin und her und endlich fuhr der Alte gu seinem Guts-
nachbar, dem Herrn von Habicht. Der schüttelte das Haupt.

„Lappalie das!" meinte er. „Unsere Söhne müssen doch standesgemäß
anftreten. Was sind siebentausend Mark!"

„Hm!" sagte der alte Donnersmarck, „Aeh, äh . . . ."

„Ich weiß Rath!" meinte Herr von Habicht. Er schoß dem Gnts-
nachbar die fehlende Summe vor und die Brillanten wurden pünktlich bezahlt.

Am nächsten Sonntag aber trat der landwirthschaftliche Verein des
Kreises zusammen und Herr von Habicht hielt eine sehr bewegliche Rede
für Erhöhung der Kornzölle. Herr von Donnersmarck schloß sich dem an
und betonte ganz besonders, der Nothstand in der Landwirthschaft sei so groß
geworden, daß die Rittergutsbesitzer oft die größte Schwierigkeit hätten, ihre
Kinder standesgemäß zu erziehen und ausznstatten. Der Verein sprach sich
energisch für eine Erhöhung der Kornzölle ans; andere Vereine thaten des-
gleichen und so entstand eine Bewegung, welche bewirkte, daß die Agrarier
im Reichstag eine Erhöhung der Kornzölle beantragten und durchsetzten.

Herr von Donnersmarck aonior war nicht tveniger erfreut, als die
Balleteuse, da sie den Schmuck erhielt.

Als er nach Berlin kam, sprach er zu seinem Sohn:

„Hoffentlich ist die Balleteuse auch hübsch, äh, die mich siebentausend
Mark gekostet hat. Stelle mich ihr einmal vor!"

Der Sohn schnitt ein etwas verlegenes Gesicht

„Bist wohl schüchtern, äh, Junge!" meinte der Alte. „Na, komm
nur!"

Als sie an der Wohnung der Tänzerin anlangten, fanden sie dieselbe
geschlossen und der Portier theilte ihnen mit, daß das Fräulein mit dem
Baron von Silberstein verreist sei! —
 
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