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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0247

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Positiver zu werten ist, was Kuhn über die neuen Formen in der Plastik unsrer
Tage im einzelnen zu sagen weiß: über die neue, dreidimensionale Plastik Bellings
(S. 126) mit ihrer rhythmisch immanenten Gesetzlichkeit (S. 128), über die ins Un-
endliche hinausstrebenden Gestalten Barlachs (S. 116), über den »Bildhauer« Maillol,
der Rodins vitale Kraft mit Hildebrands strenger Form vereinigte, und zwar nicht
als Produkt eines romantisch rückwärts gerichteten Willens, sondern Kraft des Blutes,
das in den Adern dieses Südfranzosen rollte (S. 90). Mit viel Anteilnahme ist Rodin
behandelt und doch dann mit ein paar Worten (»der geniale aber gänzlich unplasti-
sche Illusionismus« S. 90) scharf kritisiert vom Standpunkt der plastischen Aufgabe
aus. Auf das Lob, das auf den Balzac fällt, sei besonders hingewiesen (S. 60).

»Plastisch schaffen heißt Raumvorstellung durch tastbare Gebilde vermitteln«
(S. 9). Das ist keine spekulative Erkenntnis. »Plastisches Fühlen ist das erste, dem
Menschen urtümlichste Gefühl« (S. 9). Ich möchte darauf hinweisen, daß Antonio
Rosmini-Serbati in seiner Anthropologie und in seiner Psychologie als Grundelement
ein sentimento fundamentale corporeo annimmt (G. Schwaiger, Die Lehre vom Sen-
timento fundamentale bei Rosmini nach ihrer Anlage. Fulda 1914. Münchener Dis-
sertation). Die Grundforderung aller Plastik geht auf Kubik (S. 15). Unsere Zeit
hat sie von neuem erhoben. Sie ist den »hochplastischen Situationen« eigen (S. 10).
Freilich kennt unsere Zeit auch eine andere Plastik: »Lehmbruck ist der Beo-inn der
Auflösung der Plastik im Sinne des »Bildhauerischen«, wie Rodin und Bernini die
End- und Gipfelpunkte früherer Auflösungsperioden waren, unübertreffliche Ausdrucks-
formen ihrer Epochen« (S. 114). Nach Kuhn wirkte sich in Maillol, dem Hildebrand
voraufging (S. 89), die bildhauerische Komponente der neueren Plastik aus, in ihrer
höchsten Form. In Archipenko sieht er die dynamisch-rhythmische in ihrer künst-
lerischsten Form (S. 120). Mir möchte Archipenko überschätzt erscheinen. Noch
mehr Hoetger (S. 98—103). Gerade bei Archipenko tritt, meine ich, die schwere
Belastung der neueren Kunst mit rational-experimentellen Gewichten, von der Kuhn
selber und das mit Recht spricht (S. 106), trotz seiner Sympathie für die eigene Zeit
(S. 8), zutage. Wenn auch durchaus nicht ausschließlich, so doch in zunehmendem
Maße. Was der Verfasser gegen Picasso sagt, gilt auch für Archipenko und hat
absolute Geltung: »Kunst hat mit Denken nichts zu tun. Wo nicht das Erlebnis
selbst produktiv geworden, sondern das Problem losgelöst wird, entsteht eine Dia-
lektik als Selbstzweck (S. 106 f.). Ja jedes Prinzip, das in der Kunst zu Ende gedacht
wird, führt über die Kunst hinaus, mag es sich um Gotik, um Renaissance, um Im-
pressionismus, um Kubismus handeln. Um noch Künstler zu nennen, die nach
meinem Dafürhalten in jedem Sinne gut getroffen sind: Thorwaldsen, Rauch, Hilde-
brand. Bei ihm vermisse ich nur die Berücksichtigung seiner Zeichnungen, die es
erkennen lassen, daß die »kühle Begrifflichkeit« (S. 75), die geringe Animalität (S. 62)
doch nicht den ganzen Hildebrand charakterisieren. Ich möchte auch auf den von
feinstem sinnlichen Leben erlullten Kopf der Bavaria (München, Neue Staatsgalerie)
verweisen. Auch auf die Diana am Hubertusbrunnen (München).

Über seine Wertungen schreibt der Verfasser im Vorwort, er sei sich klar dar-
über, daß sie »genau so bedingt im Zeitgeiste« seien, wie die Kunstwerke selbst.
»Jede Epoche zieht das an sich heran, was ihr gemäß ist« (S. 8). Das ist wahr. Es
bleibt daneben aber doch noch das Problem der Qualität und der Qualitätsbestim-
mung bestehen. Dicht daneben.

Ob der mit dem Buche gegebene Künstlerkatalog Lücken aufweist, darnach habe
ich an dieser Stelle nicht zu fragen. Auch darnach nicht, ob das ganze Stoffgebiet
umfaßt wurde. Wem der historisch-stoffliche Gesichtspunkt der nächste ist, der
wird bemerken, daß neben der Denkmalplastik die Grabmalplastik fehlt. Von der
 
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