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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0533

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530 BESPRECHUNGEN.

den Blick für das Typische und für die eigentümliche Akzentuation, welche die
allgemeinen Bestandteile im besonderen Falle aufweisen. Vor allem aber geht er
immer mit stenographischer Kürze auf das Einmalige, Einzigartige einer geistigen
Erscheinung.

Berlin. Hugo Marcus.

Friedrich Theodor Vischer, Kritische Gänge. Zweite, vermehrte Auf-
lage, herausgegeben von Robert Vischer. 6 Bände. Verlag von Meyer &
Jessen, München.
Diese Neuausgabe umfaßt nicht nur beinahe alles, was die beiden ersten, 1844
im Verlag Fues in Tübingen erschienenen Bände und die bei Cotta zu Stuttgart
verlegte »Neue Folge« (der Band von 1860/61 und der von 1863—1873) enthalten,
sondern auch die meisten Stücke aus dem Sammelbuch, das Fr. Vischer in den
Jahren 1880—1882 unter dem Titel »Altes und Neues« im Verlage Bonz & Co. ver-
öffentlicht hat, sowie aus der von R. Vischer 1859 besorgten »Neuen Folge« dazu.
Die Habilitationsschrift »Über das Erhabene und Komische« (Stuttgart 1S37) und die
für sich in Buchform erschienenen Aufsätze »Mode und Zynismus« (Stuttgart 1879)
wurden erfreulicherweise gleichfalls mit aufgenommen, sowie eine reiche Fülle von
Aufsätzen, die nur in Zeitschriften und Tagesblättern abgedruckt, aber noch niemals
gesammelt herausgegeben worden sind. Da im gleichen Verlag und in derselben
mustergültigen Ausstattung ein Neudruck auch der Ästhetik vorliegt, so darf man
also sagen: Vischers wissenschaftliches Lebenswerk steht jetzt wieder da, eine wohl-
gerüstete Festung, an der kein Kunstphilosoph unserer Tage wird vorüberziehen
können, ohne sich in Freundschaft oder in Feindschaft mit ihr auseinandergesetzt
zu haben.

Auf alle Bände gleichmäßig einzugehen, ist hier natürlich nicht möglich. Ich
beschränke mich deshalb auf den vierten, dessen gewichtiger Inhalt mit der Ästhetik
Vischers im engsten Zusammenhange steht.

Er enthält unter anderem die berühmte Selbstkritik, die der Philosoph an
seinem Hauptwerk geübt hat. Diese Selbstkritik ist vielfach so mißverstanden
worden, als habe Vischer damit seine frühere Auffassung des Schönen und der
Kunst ganz und gar zurückgenommen, als habe er sein System nach Form und
Inhalt verworfen. Das ist aber ein Irrtum, der vor allem darauf beruht, daß man
sich daran gewöhnt hat, dem Jüngling und Manne Vischer den gereiften Sechziger
und den Greis gegenüberzustellen: dem Hegelianer und Idealisten den Psychologen
und erfahrungsfrommen Realisten. Zwischen der Weltanschauung des einen und
des anderen glaubt man eine Kluft feststellen zu müssen, jene selbe Kluft, die vor
30 Jahren in der Tat den naturwissenschaftlich orientierten philosophischen Empiriker
vom Deutschen Idealismus getrennt hat. Aber in Vischers Werdegang gibt
es ein schroffes Brechen mit den Gedanken unserer klassischen
Philosophie nicht. Sein achtzigjähriges Leben fällt nicht in zwei schlecht zu-
sammenpassende Hälften auseinander, zeigt ihn überhaupt niemals erstarrt, sondern
allzeit in rastloser Entwicklung begriffen. Wie er den Hegelianismus von vornherein
nicht als ein totes Erbe empfing, sondern als einen lebendigen Schatz von Ge-
danken, mit denen er sofort zu wuchern begann, so hat er auch niemals am Gegen-
pol der Absoluten Philosophie einen festen Anker geworfen. Fortschrittlich gesinnt,
wie als Politiker so auch als Philosoph, sog er die geistige Luft der »neuen Zeit«
mit vollen Zügen in sich ein. Mächtig ließ er die Ideen Ludwig Feuerbachs und
David Fr. Strauß' auf sich wirken. Später nahm er auch an den gewaltigen Fort-
schritten der Naturwissenschaft den lebhaftesten Anteil: die ausführliche Ausein-
 
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