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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0310
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306 BESPRECHUNGEN.

Und dennoch habe ich soeben, beim nachträglichen Blättern in dem Buch, be-
gonnen, es zum zweiten Male durchzulesen.

Holsterhausen a. d. Ruhr. Erich Everth.

Roland Oraßberger, De r Einfluß der Ermüdung auf die Produktion
in Kunst und Wissenschaft. 43 S. Leipzig und Wien, Franz Deuticke.
Die kleine Schrift des Wiener Hygienikers will den produktiven Einfluß heraus-
stellen, den physiologische, unter Umständen selbst pathologische Ermüdungszustände
auf die Entwicklung der Psyche ausüben. Sie erinnert daran, wie z. B. partielle
Ermüdung gegenüber bestimmten Geruchsstoffen das Wahrnehmungsvermögen für
andere Geruchsstoffe steigert, wie man ferner bei den Farben das negative Nach-
bild als eine durch Ermüdung hervorgerufene Umkehrung auffassen kann und wie
jedes farbige Licht durch Umstimmung die Sättigung der nachfolgenden Eindrücke
beeinflußt, indem das partiell ermüdete Sehorgan dann ungesättigte farbige Lichter
mit einem Grade der Reinheit und Sättigung empfindet, der über jenen der reinen
Spektralfarben noch hinausgeht. In der Tat kann man hierzu die leicht zu machende
Beobachtung fügen, daß man beim Besuche von Bilderausstellungen erst nach
einiger Zeit in Übung kommt und z. B. nach einer halben Stunde des Weilens
in der Ausstellung eine ganz andere Empfindlichkeit für Farben an sich bemerkt
als beim Eintritt in die Säle. Für das akustische Gebiet weist der Verfasser sodann
darauf hin, wie beim Anhalten eines lange anhaltenden Tones allmählich durch
Ermüdung der Eindruck des Haupttones abnimmt und die Obertöne hervortreten,
und versucht zu erklären, daß der altchristliche Kirchengesang, der homophon war,
durch Ermüdung zur polyphonen Musik führte, wobei dann eben die Umkehrung
zu Hilfe gekommen sei, der ja nicht nur die harmonische, sondern auch die melo-
dische Folge der Töne unterliege, wie der Kontrapunkt lehre. Habe einst in den
großen, stark resonierenden Kirchen der Widerhall neue Stimmen geweckt, auf die
das ermüdete Ohr aufmerksam wurde, so erscheine die Rolle der Ermüdungs-
erscheinungen in der neuesten Musik gewaltig gesteigert. In der Tat kann man auch
hier wieder zustimmen, wenn man z. B. an die ganze Art denkt, wie Richard Strauß
ein Thema in Szene setzt, auszubeuten versteht, daß schließlich nach langem Getön
voller Differenzen, die höchst zielbewußt zur Aufmachung verwendet werden, sich
mit beglückender Bestimmtheit, Klarheit und Plastik das Thema herauszuringen oder
auch wie eine Botschaft aus einer anderen Welt hereinzuklingen scheint. Aus den
folgenden Bemerkungen interessiert hier weniger die Erklärung, die für die Mystiker
versucht wird, wobei die Mystik eine besondere Art des Ablaufes der Bewußtseins-
vorgänge genannt wird, die nicht an bestimmte Vorstellungsobjekte, etwa religiöse,
gebunden sei, und die man mit einigem Recht als abnorm bezeichnen könne. Wenn
hierbei ein Vortrag Ostwalds angezogen wird, worin die Mystik als eine Art Er-
müdung aufgefaßt ist, die sich bei den Schwierigkeiten, große Fragen mit den
natürlichen Hilfsmitteln zu lösen, nicht selten einstelle, dann wird an diesem Punkt
mancher Leser die Gefolgschaft verweigern. Wenn nämlich richtig gesagt ist, die
Mystiker seien ausnahmslos Menschen, die dem oberflächlichen Denken abhold
seien, so erscheint die Ostwaldsche Methode verwunderlich, gerade diesen Leuten
auf die alleroberflächlichste Art beikommen zu wollen. Unser Verfasser freilich
gibt brauchbare Erweiterungen des Ostwaldschen Gedankens, er erinnert an die
große Anstrengung, die dem mystischen Denken eigen zu sein pflege und die mit
ihrer vertiefenden Konzentration zunächst wohl nur qualvolle Unlust erweckt; dem
so überlasteten Denken verschwänden dann gelegentlich plötzlich die Haupt-
vorstellungen, und explosionsartig sprängen unter Ausfall der bisherigen Hemmungen
 
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