600 BEMERKUNGEN.
der Natur gestaltet. Wir dürfen darin nicht etwa bloße Skizzen sehen, vielmehr
liegt eine Reihe von Studien dem zugrunde. In einem Figurenbilde, das Hanshan
und Shite darstellt, ist versucht worden, durch eine Mischung von Trottelhaftigkeit
und Gemütstiefe die besondere Wesensart dieser zwei seltsamen Weisen zum Aus-
druck zu bringen. — Die Naturfotmen selbst spielen bei den Ostasiaten eine ganz
andere Rolle als bei uns. Die Schönheit in der Natur erfährt eine gesonderte Be-
wertung. Es gibt kein Kunstwerk, das sie ersetzen kann oder soll. Bezeichnend
ist, daß das Porträt beinahe ganz verschwindet. Für den Europäer ist die Kunst
vielfach ein Hilfsmittel gewesen, um die Schönheit der Natur zu entdecken (ein
naheliegendes Beispiel ist Leistikow). In Japan haben die Kenner sie selbst be-
wertet. Es gibt dort eine ästhetische Kultur, für die sie Selbstzweck ist. Es wird
scharf unterschieden zwischen der schönen und der gewöhnlichen Landschaft. Ein
Stück Natur wird angesehen wie eine gewachsene Architektur oder Plastik. Diese
ästhetische Bewertung erstreckt sich sogar auf Einzelformen der Natur, auf einen
Teil einer Pflanze, eine Wurzel oder einen Stein. Der Vortragende legt Proben
solcher Dinge vor. Man erkennt die formal interessanteste Seite als Schauseite an.
Daraus gehen mitunter Zierformen von ausgesuchter Schönheit hervor. Besonders
die Steine spielen als Zierat eine wichtige Rolle sowohl im Zimmer wie im Garten.
Dieser bildet ein eigenes Kapitel der japanischen Ästhetik. Er entspricht weder
unserem architektonischen noch unserem landschaftlichen Garten, sondern ist ein
aus Elementen der Natur zusammengefügtes, sinnvolles Ganzes, in dem Naturformen
als Darstellungsmittel dienen, eine Sandfläche Wasser, ein Stein den Sitz des Buddha
bedeuten kann. Man komponiert in einem der Umgebung angepaßten Maßstab für
bestimmte Blickpunkte Stimmungsbilder oder gestaltet die Situation eines Vorgangs
bildmäßig aus. So regelt der Japaner auch den Wuchs einer Zierpflanze und zwingt
sie in eine gewollte Linie. Der Baum behält im Gegensatz zu unseren architek-
tonisch geschnittenen Formen den Charakter eines Naturgewächses, aber eines
durch den menschlichen Willen geformten. Ebenso ist ein Blumenstrauß weder
reine Natur noch ein Kunstwerk aus Naturmaterial, sondern geformte Natur. So
sind die ästhetischen Voraussetzungen in allem andersartige als in Europa. — An
die Ausführungen des Vortragenden anknüpfend, erblickt Herr Simmel das ästhe-
tische Problem der ostasiatischen Kunst darin, daß sie von ganz anderen kulturellen
und religiösen Anschauungen ausgehend Dinge erzeugt, die uns trotzdem einen
hohen Genuß bereiten. Auf die kunstphilosophischen Kategorien bezogen, erscheint
als das Wesentliche an ihr die rein augenmäßige formale Abstraktion, wie sie bei
uns höchstens das lineare Ornament erreicht. Und doch geht sie durchaus auf
Symbolik aus. So schwer begreiflich das ist, weist es doch auf dieselbe Spannung
zwischen dem naturalistischen und metaphysischen Pol hin. Herr Wulff folgert aus
diesen Tatsachen, daß die Grundlagen des ostasiatischen Kunstschaffens doch nicht
völlig heterogen von denen des unsrigen sein können. Auch in der europäischen
Kunst seien die beiden Grundelemente des stilisierenden und des naturalistischen
Gestaltungsprinzips enthalten, nur in einem anderen Mischungsverhältnis. Das Ent-
scheidende scheine ihm in der japanischen der Zug zum Komponieren, also zum
Regelmäßigen zu sein. Auch die Bewertung einzelner Naturgebilde lasse sich aus
diesem Gesichtspunkt verstehen. Dann bleibe aber noch die Frage, nach welchem
Maßstab die Schönheit der Landschaft bewertet werde. Herr Wolffheim fragt, ob
dabei nicht religiöse Momente maßgebend gewesen seien. Der Vortragende glaubt,
daß hier wie bei den Einzeldingen das Seltsame mehr mitspricht als das Regel-
mäßige und nur eine gewisse natürliche Harmonie oder freie Architektonik. Wie
weit bei der Landschaft religiöse Beziehungen hineinspielen, läßt sich nur von Fall
der Natur gestaltet. Wir dürfen darin nicht etwa bloße Skizzen sehen, vielmehr
liegt eine Reihe von Studien dem zugrunde. In einem Figurenbilde, das Hanshan
und Shite darstellt, ist versucht worden, durch eine Mischung von Trottelhaftigkeit
und Gemütstiefe die besondere Wesensart dieser zwei seltsamen Weisen zum Aus-
druck zu bringen. — Die Naturfotmen selbst spielen bei den Ostasiaten eine ganz
andere Rolle als bei uns. Die Schönheit in der Natur erfährt eine gesonderte Be-
wertung. Es gibt kein Kunstwerk, das sie ersetzen kann oder soll. Bezeichnend
ist, daß das Porträt beinahe ganz verschwindet. Für den Europäer ist die Kunst
vielfach ein Hilfsmittel gewesen, um die Schönheit der Natur zu entdecken (ein
naheliegendes Beispiel ist Leistikow). In Japan haben die Kenner sie selbst be-
wertet. Es gibt dort eine ästhetische Kultur, für die sie Selbstzweck ist. Es wird
scharf unterschieden zwischen der schönen und der gewöhnlichen Landschaft. Ein
Stück Natur wird angesehen wie eine gewachsene Architektur oder Plastik. Diese
ästhetische Bewertung erstreckt sich sogar auf Einzelformen der Natur, auf einen
Teil einer Pflanze, eine Wurzel oder einen Stein. Der Vortragende legt Proben
solcher Dinge vor. Man erkennt die formal interessanteste Seite als Schauseite an.
Daraus gehen mitunter Zierformen von ausgesuchter Schönheit hervor. Besonders
die Steine spielen als Zierat eine wichtige Rolle sowohl im Zimmer wie im Garten.
Dieser bildet ein eigenes Kapitel der japanischen Ästhetik. Er entspricht weder
unserem architektonischen noch unserem landschaftlichen Garten, sondern ist ein
aus Elementen der Natur zusammengefügtes, sinnvolles Ganzes, in dem Naturformen
als Darstellungsmittel dienen, eine Sandfläche Wasser, ein Stein den Sitz des Buddha
bedeuten kann. Man komponiert in einem der Umgebung angepaßten Maßstab für
bestimmte Blickpunkte Stimmungsbilder oder gestaltet die Situation eines Vorgangs
bildmäßig aus. So regelt der Japaner auch den Wuchs einer Zierpflanze und zwingt
sie in eine gewollte Linie. Der Baum behält im Gegensatz zu unseren architek-
tonisch geschnittenen Formen den Charakter eines Naturgewächses, aber eines
durch den menschlichen Willen geformten. Ebenso ist ein Blumenstrauß weder
reine Natur noch ein Kunstwerk aus Naturmaterial, sondern geformte Natur. So
sind die ästhetischen Voraussetzungen in allem andersartige als in Europa. — An
die Ausführungen des Vortragenden anknüpfend, erblickt Herr Simmel das ästhe-
tische Problem der ostasiatischen Kunst darin, daß sie von ganz anderen kulturellen
und religiösen Anschauungen ausgehend Dinge erzeugt, die uns trotzdem einen
hohen Genuß bereiten. Auf die kunstphilosophischen Kategorien bezogen, erscheint
als das Wesentliche an ihr die rein augenmäßige formale Abstraktion, wie sie bei
uns höchstens das lineare Ornament erreicht. Und doch geht sie durchaus auf
Symbolik aus. So schwer begreiflich das ist, weist es doch auf dieselbe Spannung
zwischen dem naturalistischen und metaphysischen Pol hin. Herr Wulff folgert aus
diesen Tatsachen, daß die Grundlagen des ostasiatischen Kunstschaffens doch nicht
völlig heterogen von denen des unsrigen sein können. Auch in der europäischen
Kunst seien die beiden Grundelemente des stilisierenden und des naturalistischen
Gestaltungsprinzips enthalten, nur in einem anderen Mischungsverhältnis. Das Ent-
scheidende scheine ihm in der japanischen der Zug zum Komponieren, also zum
Regelmäßigen zu sein. Auch die Bewertung einzelner Naturgebilde lasse sich aus
diesem Gesichtspunkt verstehen. Dann bleibe aber noch die Frage, nach welchem
Maßstab die Schönheit der Landschaft bewertet werde. Herr Wolffheim fragt, ob
dabei nicht religiöse Momente maßgebend gewesen seien. Der Vortragende glaubt,
daß hier wie bei den Einzeldingen das Seltsame mehr mitspricht als das Regel-
mäßige und nur eine gewisse natürliche Harmonie oder freie Architektonik. Wie
weit bei der Landschaft religiöse Beziehungen hineinspielen, läßt sich nur von Fall