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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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BESPRECHUNGEN. 281

reits in den letzten Jahren mit Erfolg eingeschlagen hat: die einzelnen Probleme
in sich behandeln und vor allem die Einfühlung sichten von all dem, was nur äußer-
lich der Einfühlung ähnelt, psychologisch aber ihr recht fernsteht. Aber mögen wir
da auch zu ganz anderen Ergebnissen vordringen, als Lipps sie darbietet, die Pro-
bleme rühren von ihm: die große Aufgabe hat er gestellt und sie so vertieft und
durchdacht, daß er letzthin auch der Vater der Fortschritte ist, die er selbst vielleicht
beklagt und als dunkle Irrgänge bedauert. Aber es ist das Schicksal großer Pro-
bleme, daß sie ihr eigenes Leben leben; und die Größe liegt darin, sie zu erkennen;
und möglicherweise geht dies überhaupt nicht ohne die Einseitigkeit des Radikalismus.
Die Luft, welche die Taube trägt, hindert sie zugleich am Flug.

Rostock. Emil Utitz.

Rainer Maria Rilke, Auguste Rodin. Mit 96 Vollbildern. Im Inselverlag
zu Leipzig 1913. 8°. 120 S.
Im Jahre 1903 hat Rilke im zehnten Bändchen der von Richard Muther heraus-
gegebenen »Kunst« eine kleine Schrift über Rodin veröffentlicht; vier Jahre später
trat er mit einem Rodin-Vortrag auf. Jener Essay und dieser Vortrag bilden das
neue Buch, dem noch 96 Bildtafeln beigefügt sind, die allerdings — wenig scharf —
eine besonders für Rodin sehr gefährliche Verwaschenheit zeigen. Mit großer
Freude begrüßt man aber einige der berühmten Handzeichnungen, die nicht ver-
gessen werden dürfen, wenn von Rodin die Rede ist. Rilkes Stellung zu ihm ist
bekannt; nicht als Kritiker steht er ihm gegenüber und auch keineswegs als Ge-
lehrter; sondern er berichtet aus einem ungeheueren Erleben heraus und will andere
teilnehmen lassen an dem Erleben. Und weil er ein Künstler ist, wird aus dem
Erleben Kunst. Und weil es gute Kunst ist, hat sie auch ihren persönlichen Zug:
immer fühlt man die Eigenart Rilkes, auf jeder Seite, in jedem Satz. Aber nie drängt
sie sich vor, sondern sie ist wie in einen weiten Mantel eingehüllt durch die geradezu
fromme Verehrung des Meisters, dem die Schrift gilt, und durch die schlicht-inbrünstige
Hingabe an sein Werk. Bisweilen prägt er — Rodin nur meinend — Sätze, die
tief in das Schaffen aller Großen leuchten, so wenn er sagt: »Und kamen Zweifel,
kamen Ungewißheiten, kam die große Ungeduld der Werdenden zu ihm, die Furcht
eines frühen Todes oder die Drohung der täglichen Not, so fand das alles in ihm
schon einen stillen, aufrechten Widerstand, einen Trotz, eine Stärke und Zuversicht,
alle die noch nicht entfalteten Fahnen eines großen Sieges.« Oder er dringt zu
einem Kunstgesetz vor: »Wie groß auch die Bewegung eines Bildwerkes sein mag,
sie muß, und sei es aus unendlichen Weiten, sei es aus der Tiefe des Himmels,
sie muß zu ihm zurückkehren, der große Kreis muß sich schließen, der Kreis der
Einsamkeit, in der ein Kunst-Ding seine Tage verbringt. Da war das Gesetz,
welches, ungeschrieben, lebte in den Skulpturen vergangener Zeiten. Rodin erkannte
es.« Sehr wichtig scheint mir, was Rilke über die Porträts Rodins zu sagen hat,
denn da zeigt sich, daß man mit dem Begriff des »Impressionismus« allein den
großen Künstler sicher nicht erschöpft: »Er hat keinen gebildet, den er nicht ein
wenig aus den Angeln gehoben hätte in die Zukunft hinein; wie man ein Ding
vor den Himmel hält, um seine Formen reiner und einfacher zu verstehen. Das ist
nicht, was man verschönern heißt, und auch charakteristisch machen ist kein passen-
der Ausdruck dafür. Es ist mehr; es ist: das Dauernde vom Vergänglichen scheiden,
Gericht halten, gerecht sein.« Aber am schönsten wird doch das Buch, wo Rilke
einfach seine Eindrücke beschreibt, etwa den der Bürger von Calais: Rodin »wandte
alle Aufmerksamkeit dem Moment des Aufbruchs zu. Er sah, wie diese Männer
ihren Gang begannen; er fühlte, wie in jedem noch einmal das ganze Leben war,
 
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