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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Wulff, Oskar: Kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0040

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34 OSKAR WULFF.

selzung drei technische Darstellungsarten oder Kunstgattungen. Erstens
die Flächenkunst, welche der gleichwertigen rein optischen Objekti-
vierung der Sehform dient und Zeichnung und Malerei umfaßt. Zwei-
tens die Rundplastik, in der sich die gleichwertige haptische Objekti-
vierung der Sehvorstellung vollzieht. An dritter Stelle endlich die
Reliefkunst, welche eine Vermittlung von Sehform und Sehvorstellung
anstrebt, indem sie die Sehform einer ungleichwertigen haptischen
(aber nicht in vollem Maße kubischen) Objektivierung unterwirft. Vom
psychologischen Standpunkt stellt sie sich durchaus als eigenartige
Gattung dar, welche der Flächenkunst (Zeichnung) näher steht als der
Rundplastik1). Unter dem rein technischen Gesichtspunkt freilich läßt
sie sich mit der letzteren unter dem Begriff der Bildnerei oder der
Plastik im üblichen allgemeinen Sinn zusammenfassen. — Aber es
darf nicht übersehen werden, daß auch in den Zweckkünsten die
doppelte technische Erfüllungsmöglichkeit der Sehform und der Seh-
vorstellung vorliegt. Denn ein baukünstlerischer Gedanke kann nicht
nur im tektonischen Aufbau eines Raumganzen seine haptische (kubi-
sche), sondern auch in einer Folge von Rissen, ja in einer einzigen
Zeichnung, also in der objektivierten Sehform, eine rein optische Ver-
wirklichung finden. Und vollends nimmt die Zierkunst sowohl als
Flachornamentik an der optischen Erfüllungsmöglichkeit der Sehform
wie auch als plastische Dekoration an der haptischen (kubischen)
Objektivierung von Sehvorstellungen ihren vollen Anteil.

Die vorstehende Betrachtung hat bereits ein weiteres wichtiges Er-
gebnis zutage gefördert, wenngleich ein negatives. Sie läßt erkennen,
daß sich die Begriffe des Optischen und Haptischen nicht mit der
allgemeingültigen Unterscheidung des Malerischen und Plastischen
decken. Flächenkunst und Malerei fallen ebensowenig zusammen wie
Körperkunst (Rundplastik) und Bildnerei, da der Reproduktionsdrang,
mag er von der Sehform oder von der Sehvorstellung ausgehen, auch
in der ungleichwertigen (inadäquaten) Erfüllungsform seine Objekti-
vierung finden kann, wie vor allem die Reliefkunst beweist. Wir werden
aber_erst recht nicht Zeichnung, Malerei und Bildnerei mit dem Laien
nach ihrem technischen Verfahren unterscheiden dürfen und dieses
nicht für das Kennzeichen der einzelnen Künste nehmen wollen, son-
dern wir haben wiederum nach einem psychischen Entstehungsgrund
zu fragen, nach einer besonderen Auffassungsweise der Wahmehmungs-
inhalte (beziehungsweise der Phantasievorstellungen), welche ihrerseits
die Wahl unter den verfügbaren Ausdrucksmitteln bestimmt und zur
Vollendung jeder Technik führt. (Fortsetzung folgt.)

') Kongr. f. Asth. usw. S. 334; diese Unterscheidung ist hier nur wie folgt zu ergänzen.
 
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