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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Herrmann, Helene: Faust, der Tragödie zweiter Teil: Studien zur inneren Form des Werkes, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0167

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V.

Faust, der Tragödie zweiter Teil:
Studien zur inneren Form des Werkes.

Von
Helene Herrmann.

(Fortsetzung.)

Die Erscheinungsform der Helena.

Als wir die Bedeutung der Helenagestalt im Werke betrachteten,
suchten wir die innere Verbindung auf zwischen dem Gretchenerlebnis
und dem Helenaerlebnis. Wir glaubten sie zu finden: Gretchen ist
das Wesen, das Faust zuerst, sein Innerstes aufwühlend, gewiß macht,
sein Allheitsstreben könne von keinem, auch dem erfüllendsten irdi-
schen Erlebnis je gesättigt werden, und das ihn dann in solchem Er-
leben zuerst ganz dem Irdischen verschmelzt. Helena dagegen ist es,
die ihm bei hellem Erdentag das Göttliche der Erscheinungswelt offen-
bart. Sie ist »Gestalt aller Gestalten«, sie verbürgt, nur weil sie ist,
den Sinn, den Geist, die Göttlichkeit des irdischen »Hier?.

Dieses Erlebnis bedroht ihn nicht wie jedes andere mit der Gefahr,
daß er für irgend ein Irdisch-Einzelnes, bei ihm verweilend, seine Voll-
endung und damit den Weg ins Göttlich-Ganze aufgäbe. Denn Helena
ist ja sofort sub specie aeterni erschaut, und sie entschwindet, nach-
dem sie ihn gewiß gemacht hat, daß sein Leben, wie alles irdische
Leben der Vollendung fähig ist.

Im Anschauen, Gewinn und Verlust dieser irdisch leibhaften Er-
scheinung des göttlichen Bildnertriebes vollzieht er seine heilige Hoch-
zeit mit dem Sinn der Welt. Nun darf er ablassen vom ruhelosen
Trieb, allerfahrend sich aufzuweiten zu einer Welt, da ihm ja nun der
Sinn des Lebens unverlierbar eignet. Nun kann er in selbstgewähltem
Verzicht und selbstgewollter Begrenzung einen Erdenaugenblick sinn-
bildlich nehmen für seine Vollendung. Es ist der Augenblick, in dem
er seinen tiefsten Trieb, die grenzenlose Bewegung aus dem Ich in
die Welt selber verlegt, in eine Gesamtheit, die ihn, an ihrem Leben
tätig schaffend, durch die Aeonen weitertrage. Er hat nun erkannt,
wie tief sein innerer Trieb, der ihm so lange nur ein Verhängnis voll
Widerspruches schien, das rastlose Weiterschreiten — unbefriedigt

Zeitsclir. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XII. 11
 
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