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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Ettlinger, Max: Shakespeares Äußerungen über Kunst in ihrem Verhältnis zur humanistischen Pseudoaristotelik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0145

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BEMERKUNGEN. 139

Mit Sidney und anderen damaligen Vorkämpfern einer Dichtung in der Volks-
sprache geht Shakespeare immerhin in gar manchen mehr äußerlichen Fragen Hand
in Hand.

Hinsichtlich der Sprach- und Verstechnik trennen sich ja auch Sidneys Wege
bereits von denen des Neulateiners Scaliger. Und namentlich wendet sich der eng-
lische Verteidiger der Dichtkunst gegen jene Gesuchtheit der concetü, gegen all die
verschnörkelt-schwulstigen Wort- und Sinnspielereien, an denen seine eigenen Jugend-
dichtungen litten und mit denen auch Shakespeare in seinen Frühwerken zu ringen
hatte.

In Shakespeares erstem Lustspiel »Verlorene Liebesmüh« (1591) weist der
Dichter in Person des Königs Biron diese Gefahr des »Euphuismus« (nach Lillys
Roman »Euphu.es*) bereits von sich und dorthin, wohin dergleichen gehört: »in die
Schule, wo die Kunstfertigkeit wetteifert«. Fort, ruft er selbst sich zu

»Taftfloskeln, seidne Phrasen, Prunktiraden,
Samtne Hyperbeln, glatte Künstelei —
AH diese Sommerfliegen heckten Maden
In meinem Hirn, Geschmeiß der Ziererei.
Hier schwör' ich ihnen ab! . . .
in Zukunft kleid' ich meine Lieb' und Treue
In Ja und Nein von schlichter Leinewand.
Das Herz sei fest und scnza Riß und Sprung«.

Mit der gezierten Anwendung des Fremdworts senza ist Biron freilich seinem
guten Vorsatz aus schlechter Gewohnheit schon wieder untreu geworden. Rosa-
line muß ihn mahnen: »Kein senza bitt' ich« und Biron gesteht, noch habe er Hang
zur alten Manier.

Den unwahrhaftigen Manierismus verschnörkelter Hofkunst stellt Shakespeare
auch noch später gerne bloß. So im »Timon von Athen« (1605), wo Maler und
Dichter mit allegorisierenden Lobhudeleien um die Gunst des Machthabers Timon
wetteifern und damit einen paragone, jenen Wettstreit um den Vorrang der bilden-
den oder redenden Künste zu parodieren scheinen, wie ihn humanistische Ästhetiker
so sehr liebten. Und nur zur Beschämung spendet schließlich Timon den Tiraden
des Hofdichters das ironische Lob:

»Ha, fließt dein Vers nicht hin so glatt und zart,
t Daß deine Kunst natürlich wieder wird.«

Dieses Wort ernst genommen: der Wunsch, die Kunst mit naturgegebenen
Mitteln zu einer zweiten, schöneren Natur zu erhöhen, bezeichnet Shakespeares
eigenes dichterisches Ideal. Und über dieses Verhältnis von Natur und Kunst hat
er allezeit nachgedacht und es zwar nicht in Regeln und Gesetzen, wohl aber in
Anschauungen und Anweisungen zu erfassen versucht.

So weit Shakespeare alle Künstelei von sich weist, so wenig ist seine Kunst-
theorie naturalistisch. Sie gleicht den Winterblumen, die in keinem Bauerngarten
freiwüchsig gedeihen, die aber doch letzten Endes- eine Gabe verstandener und
gepflegter Natur bleiben; oder sie gleicht den veredelten Früchten, die vom Pfropf-
reis des rauhesten Stammes geerntet werden. In dem sinnvollen Zwiegespräch zwi-
schen Perdita und Polyxenus (»Wintermärchen« Akt IV, Szene 3) heißt es:

»Doch wird Natur durch keine Art gebessert,
Schafft nicht Natur die Art.

So, ob der Kunst,
 
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