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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Herrmann, Helene: Faust, der Tragödie zweiter Teil: Studien zur inneren Form des Werkes, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0184

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178 HELENE HERRMANN.

Formung, die von ihrer Gestalt ausgeht, weicht einer bewegten und
musikalischen ja, es verändern sogar bewußt »opernhafte Rezitative«
den Stil von Grund auf, und Helena wird nur eine mittönende Stimme
in dem Chor, der als Resonanz des Solisten Euphorion weiter lebt
und auch Faust einbezieht. Nur in ihren Scheideworten baut sie sich
ja dem geistigen Auge noch einmal ganz als das auf, was sie zu An-
fang war: als reine, isolierte Gestalt, die entscheidenden Worte über
ihr Wesen und Schicksal zu reinster Gegensätzlichkeit ausmeißelnd:
»Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.«

Wenn wir von der Bildhaftigkeit des Stiles sprachen, die Helena
dem geistigen Blick als Erscheinung darbietet, so meinen wir hier
nicht nur die, die wirklich rein optisch faßbar ist und auf eine optische
Verkörperung im Bühnenbilde hinzielt.

Es handelt sich auch um diejenigen Szenen, die zwar in der Dar-
stellung durch ein Bauen mit Gruppen unterstützt werden können,
die ihrer aber für unser inneres Sehen nicht bedürfen. Sie haben
eine Bildhaftigkeit, die nur durch das Wort und den Geist der Worte
geschaffen ist, ohne daß, wie bei dem Hinaufsteigen zum Palast, der
Gegenüberstellung von Helena und Phorkyas, der Szene der Thron-
erhöhung, optische Vorstellungen mitschaffen.

Diese Szenen (die Lynceusszene und Helenas Abschied) sind Situa-
tionen, in denen die reine Wesenheit ruhend und geistig angeleuchtet
hervortritt, ohne daß die Gestalt selber von einer dramatischen Bewe-
gung ergriffen erschiene. Deshalb nennen wir sie »bildhaft«. Und
wir sagen: die Erscheinungsform der Helena ist, daß sie in einer
Folge seelischer lebender Bilder gegeben wird, die sich in unmerk-
licher kunstvoller Steigerung zu einem vollendeten Eindruck zusammen-
schließen.

(Schluß folgt.)
 
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