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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0247

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BESPRECHUNGEN. 241

praktischen Lebens eigentümlich ist, sollte uns zeigen, daß die Frage nach der
Apriorität des sogenannten Kausalbedürfnisses nicht so generell beantwortet werden
kann, wie es vielfach geschieht«. Ich bin überzeugt, daß jeder Anhänger des Kriti-
zismus die Tatsachen ruhig zugeben wird, ohne in ihnen auch nur den leisesten
Schimmer eines Einwandes zu erblicken; die psychologisierende Auffassung Marbes
erscheint vielmehr als gänzliche Verkehrung des eigentlichen Grundproblems. Doch
kommen diese philosophischen Prinzipalfragen für das Buch weniger in Betracht,
da seine Hauptaufgabe in positiv exakten Untersuchungen besteht, die nicht in das
Quellgebiet hinabreichen, in dem die philosophischen Richtungen auseinandertreten.

Rostock.

Emil Utitz.

Hermann Bahr, Expressionismus. Delphin-Verlag, München 1916. Mit
19 Tafeln. 8°. 170 S.
Daß Bahr ein Buch über den Expressionismus schreiben mußte, war für jeden
selbstverständlich, der die Natur dieses Schriftstellers kennt; es drängt ihn zu allen
bedeutsamen Fragen der Zeit Stellung zu nehmen. Aber diese Stellungnahme ist
bei Bahr — ein nicht unsympathischer Zug seines Wesens — keine kritische Zer-
gliederung, sondern Hingabe; ein Ringen um Verstehen, ein gläubiges Hinhorchen
auf das Wogenrauschen der Zeit. Bahr gehört nicht zu den Neufindern, die
schaffen, was der Zeit nottut, sondern zu denen, die auf ihren Atem lauschen, die
dieser Atem bewegt, erschüttert und begeistert. Sie erzeugen nicht jenen Atem,
aber dieser bringt sie in Schwingung. Oder bildlos gesprochen: Bahr ist in gutem
Sinne »modern* und »auf der Höhe der Zeit«; nicht aus Originalitätssucht oder
krankhafter Gier nach neuem, sondern der Kern seines Seins besteht darin, sich
offen zu halten dem Rhythmus der Zeit. Er würde sich alt und morsch fühlen,
durchzitterte ihn nicht jener Rhythmus. Die Wandlungsfähigkeit Bahrschen Wesens
ist gewiß von ihm aus gesehen — innere Folgerichtigkeit und Nötigung, und keine
irgendwie berechnende Willkür, bald dieses, bald anderes zu können. Mag er über
Politik schreiben, über die Schönheit Dalmatiens, über österreichische Hofräte oder
das Theater, über Religion oder Bilder; er entdeckt nicht, aber er popularisiert auch
nicht; er ist der erregte Zuschauer, der dem Eindruck des Daseienden unterliegt
und diesen Eindruck durch Formung sich zur Klarheit bringt. Und er tut dies mit
anmutigem Geschick; bisweilen eröffnen sich auch Tiefen, weil er wahrhaft gepackt
ist, und wie durchströmt von der Stärke des Erlebens. Gewiß kann das auch zum
Dilettantismus führen, aber davor schützt Bahr seine artistische Veranlagung. Zum
echten Dichter, oder auch zum Wissenschaftler reicht sie jedoch nicht aus. Wie
blendend, wie tief, wie anmutig auch immer seine Darlegungen sein mögen, sie
sind »aus zweiter Hand«, mehr reproduzierend, als produzierend. Und die Ange-
legenheit, die gerade Bahr beschäftigt, erfüllt ihn so ausschließlich, daß er das Be-
wußtsein ihres Stellenwertes verliert. Darum erscheint bei Bahr alles einseitig,
verzerrt, ungerecht in Lob und Tadel. All diese Vor- und Nachteile, Weiten und
Grenzen eignen nun auch dem vorliegenden Buch. Es ist jedenfalls interessanter
als die meisten Werbeschriften junger Kunsthistoriker für den Expressionismus,
weil selbst expressionistische »Luft« in ihm weht. Es lebt gleichsam in dieser
Atmosphäre, ohne ihre Bedingungen mühselig konstruieren zu müssen. Es spricht
lebendig von »Lebendigem«; es »sieht selbst expressionistisch die Welt an«. Aller-
dings erfährt der Leser sehr wenig über expressionistische Kunst. Ihre Gestaltungs-
prinzipien werden kaum gestreift, und die einzelnen Kunstwerke erscheinen ledig-
lich als Beispiele. Nun kann man aber von der Möglichkeit des Expressionismus-

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XII. 16
 
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