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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0250

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244 BESPRECHUNGEN.

Beeinflussung zeitlich weit entfernter Kunstperioden. Wie anders hätte sich selbst
die Kunst unserer Tage gestaltet, »wenn etwa Michelangelo als Zwanzigjähriger
sein Leben eingebüßt hätte«. . . . »Wir wissen nicht, wie viele stilumwälzende Be-
gabungen . . . durch den Krieg selbst oder durch seine Begleiterscheinungen der
Kunst und der Menschheit entrissen worden sind« (S. 25). Immerhin sind die durch
den Krieg verursachten Künstlerverluste — abgesehen vom heutigen Weltkrieg —
»auffällig gering, wenn wir nur jene Schöpferpersönlichkeiten mitzählen, von denen
die Geschichte als von Opfern bestimmter Kriege zu melden weiß« (S. 25). Für
das Geschick der Kunstwerke in Kriegszeiten ist es von Wichtigkeit, »ob an Kultur
Unebenbürtige widereinander streiten, und wer von ihnen der natürlich Mächtigere
ist, oder ob es zu einem Ringen gleich oder ähnlich Entwickelter kommt; sodann
ob der Krieg zwischen Stamm- und Blutsverwandten ausbricht, oder zwischen
Rassen, deren Verhältnis Feindschaft aus Instinkt ist; endlich, ob eine ideale oder
eine materielle Streitfrage die Grundursache des Zwistes setzt« (S. 33). Neben den
zerstörenden Wirkungen hat fast jeder Krieg auch erneuernde, aufbauende Wir-
kungen im Gefolge. So erfordert die Vernichtung von unbedingt notwendigen
Werken möglichst schnelle Neuschöpfung; tiefgreifende, durch den Krieg verur-
sachte Änderungen bieten wiederum zur Neugestaltung Veranlassung; endlich regt
sich »der Wunsch, ein Erinnerungsmal aufzustellen«.

Als Gesetz läßt sich hinsichtlich der Unterjochung schwächerer, auf niederer
Kulturstufe stehender Völker durch höherstehende Angreifer der Satz aufstellen, daß
die Kunst der Tieferstehenden so gut wie ausgerottet wird. »Der Eroberungskrieg
eines hochkultivierten Volkes gegen ein unvergleichlich niederer kultiviertes kommt
daher in seinen mittelbaren Folgen einer Katastrophe für die Kunst der Besiegten
gleich.« Bei der Besiegung eines höher kultivierten Volkes durch ein auf tieferer
Stufe stehendes ist die Wirkung verwickelterer Art. Zunächst nimmt der Sieger die
vollkommeneren Ausdrucksformen des Besiegten voller Bewunderung an; erst all-
mählich erfüllt er sie mit eigenem Geiste, sofern er selbst starke künstlerische Ver-
anlagung besitzt. »So wächst die kräftestrotzende Stärke unter der klugen Leitung
wissender Resignation heran. Und die mittelbare Folge eines Kriegs, der vielleicht
die gesamte Kulturarbeit vieler Jahrhunderte zu vernichten schien, ist schließlich ein
üppiges Blühen und Früchtetragen, ist schließlich ein Glück für die bildende Kunst«
(S. 92, 93).

Ein eigenes Kapitel ist dem Thema »Baukunst und Krieg« gewidmet. Es wird
nachgewiesen, wie die Spielarten der Bauwerke in ausgesprochener Abhängigkeit
zu den politischen Zuständen des jeweiligen Landes stehen, wie z. B. im Mittelalter
der durch den Kriegscharakter bedingte Platzmangel freie, symmetrische Gruppie-
rung von Gebäuden verbietet, während ein Weltreich, das mit der Eroberung des
Landinnern nicht zu rechnen braucht, Städte besitzt mit geräumigen Straßen, weiten
Plätzen und breitgelagerten, stattlichen Gebäuden; wie eine Insel, deren Küsten
allein befestigt sind, in ihrem Inneren bauen darf, »als wenn es überhaupt keinen
Krieg in der Welt gebe. Nicht umsonst haben sich die parkumhegten, freien Land-
sitze und die offenen weitgedehnten Gartenstädte in England früher und zu höherer
Vollkommenheit entwickelt als auf dem europäischen Festland« (S. 116).

Als Ergebnis der Untersuchung über Malerei und Plastik in ihrem Verhältnis
zum Kriege ist vor allem zu berichten, daß sich diese beiden Künste von den
Wandlungen der Kriegstechnik im Gegensatz zur Architektur sehr wenig beein-
flussen lassen. Hildebrandt führt uns hier wieder eine reiche Fülle von Beispielen
heran, die in zeitlicher Aufeinanderfolge die einzelnen Jahrhunderte berücksichtigen.

Der vierte, letzte Teil des Buches behandelt die bildende Kunst vor dem Aus-
 
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