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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Wulff, Oskar: Kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0280

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274 OSKAR WULFF.

Damit kommen wir auf die von Wölfflin ausgesprochene Schlußfrage
(Heft 2, S. 220) zurück, zugleich aber auf die Frage nach dem Ver-
hältnis der kunstwissenschaftlichen zur sprachwissenschaftlichen Me-
thode (siehe Heft 1, S. 6).

Der völkerpsychologischen Betrachtungsweise unterliegt die Kunst
(im oben Heft 1, S. 28 bestimmten Sinne) als Gesamterzeugnis einer
fortgesetzten eigenartigen — nämlich der künstlerischen — Betätigung
(Ausdruckstätigkeit) der Menschheit, wie die Sprache. Beide sind
Schöpfungen der Gesellschaftsseele, d. h. ihre Entfaltung — wenn
nicht gar ihr Ursprung — ist durch die seelischen Wechselwirkungen
der Individuen auf einander bedingt und nicht nur durch individuelle
schöpferische Leistungen l). Die engere Übereinstimmung im Wesen
beider aber reicht im Vergleich mit anderen Gebilden der Volkspsyche
(Mythus, Religion, Sitte) insofern noch weiter, als in der einen wie in
der anderen Ausdruck (beziehungsweise Bedeutung) und Form im
Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit (Korrelation) zueinander stehen.
Damit ergibt sich für uns ein gemeinsamer Ausgangspunkt mit
Tietze: Formgestaltung als Ausdruck des Inhalts — einschließlich des
Zweckgedankens (siehe Heft 2, S. 193), hätte ich hinzuzufügen, — be-
zeichnet das Ziel aller Kunst. Dieselbe Vereinheitlichung von Inhalt
und Form, zu der auch die von ihm hier berücksichtigte »ästhetische
Interpretation gelangt, gestattet auch der Kunstgeschichte, in ihrer
genetischen Betrachtung beide Seiten des Kunstwerks zusammen-
zufassen« 2). Wollen wir aber dieses doppelseitige »menschliche
Kunstwollen« in seiner »kausalen Verkettung« verstehen, so dürfen
wir doch seinen soziologischen beziehungsweise völkerpsychologischen
Entwicklungsgesetzen nachzuforschen nicht versäumen. Zwar »er-
scheint die Kunst eines gegebenen Zeitpunktes als ein chaotisches
Gewirr voneinander steigernden und paralysierenden Wirkungen«, aber
die »Unterordnung unter eine unbewußt wirksame Problematik wäre
am einfachsten, wenn sich der ganze Kunstverlauf von durchgängig
waltenden Prinzipien beherrscht erweisen ließe«a). Für Tietze haben
sich freilich alle »diesbezüglichen Bemühungen — als hinfällig ent-
puppt«. Allein wenn sich auch »die Zahl der möglichen Probleme
nicht erschöpfen« läßt, — so würde sie sich doch zweifellos ein-
schränken lassen, sobald wir in der Kunstentwicklung wie in der
Sprachentwicklung eine Reihe sich wiederholender gleichartiger Vor-
gänge erkannt und sie unter einheitliche Gesichtspunkte gebracht

') Wundt, Völkerpsychologie, 3. Aufl., 1911,1, S. 1 ff. und 2. Aufl., 1908, III, S. 3.
'-) Tietze, a. a. O. S. 45/6 im Anschluß an E. Heidrich, Zeiischr. f. Ästhet, u.
allgem. Kunstwiss. 1913, S. 120 ff.

3) Tietze, a. a. O. S. 137 und S. 413/4.
 
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