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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Major, Erich: Die Frage des Selbstzweckes
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0370

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364 BEMERKUNGEN.

Sonate, die Mondscheinsonate, die schottische und rheinische Symphonie, um nur
einige zu nennen. Das Volk stellt unweigerlich die berühmte Frage von Fontenelle:
Sonate, que rae veux tu? und das reine musikalische Wolkenschieben läßt es kalt
und erweckt höchstens gleichgültige Achtung. Nicht umsonst wird auch der Kolo-
ratursänger und der Virtuose verhöhnt, dem die Technik als solche das wesentliche
ist und der in den Äußerlichkeiten des Kunstbetriebes aufgeht.

Auch in der Lyrik sind die Formen der selbstgenießenden technischen Fähig-
keit am gefährlichsten. Wie in der Musik, so kann sie auch hier eine Lust des
Klanges entwickeln, die für die tiefere Empfindung verderblich ist. Wenn das Wie
sich über das Was erhebt, so muß immerdar der Wert des Kunstwerkes leiden,
und wenn wir sehen, wie die heutige erzählende Literatur Berge von Bänden häuft,
mit dem Selbstzweck des Beschreibens spannender Vorgänge, die den Geist ein-
schläfern, so fühlen wir die ganze Gefahr, die aus dieser Theorie hervorgeht. Nichts
kann bedenklicher sein als das Verspinnen und Verwachsen mit einer aufreizenden
Handlung, die Freude an einer Kunstform, die nur sich selber dient und gleichsam
nur ein Kaleidoskop darstellt, wo die Kügelchen harmlos und ungefährlich ihren
Weg laufen.

Nicht der Selbstzweck, und damit kehren wir zu der ersten prinzipiellen Frage
zurück, ist das Merkmal des Kunstwerkes, nicht das freundliche Sicheinpuppen in
eine Tätigkeit, mit dem kargen, negativen Ruhm, keinem anderen, keinem prak-
tischen Zwecke zu dienen. Gibt es denn überhaupt eine Tätigkeit und ein Kunst-
werk, das seinem Wesen nach vollständig Selbstzweck wäre? Ist die Selbstgenüg-
samkeit in ihrer Vollendung überhaupt möglich ?

Jedes Kunstwerk stellt sich uns als eine verewigte, im toten Stoff festgeankerte
Mitteilung dar. Das Kunstwerk will erzählen und es will durch die Erzählung Ein-
druck machen. Es will, wie Meumann in seinem System der Ästhetik so richtig
sagt, im Aufnehmenden schattenhaft die Empfindungen wieder erwecken, die der
Schöpfer selbst empfunden hat. Und zugleich will jedes Kunstwerk auf möglichst
viele wirken und im Sinne jener Empfindungen, die sich von Mensch zu Mensch
mitteilen. Jedes Gemälde möchte Götterbild sein, zu dem die Gläubigen wallfahrten,
und jede Statue ist im Sinne des Schöpfers Denkmal, das der Gesamtheit zugehört.
Selbstzweck ist die Entladung der gereinigten Leidenschaft, Selbstzweck die Übung
der Kräfte, aber niemals ist ein Gesamtvorgang in sich selbst geschlossen, der so
tausendfach in die Welt hinauszittert und sich immerdar an ihre Gesamtheit zu
wenden hat. Freilich, dem Rezeptiven, dem faulen Genießer, dem Zergliederer der
künstlerischen Freuden — ihnen kann es wesentlich erscheinen, daß das Schöne
um des Schönen willen betrieben werden müsse, daß kein praktischer Sinn im
Kunstwerk sein dürfe und was dergleichen Phrasen mehr herumflattern. Aber die
kleinste Anstrengung des Denkens muß jedem sagen, daß der Selbstzweck im besten
Fall das Akzessorium ist, niemals das Essentiale, daß es sich um eine
Eigenschaft handelt, nicht um eine Wesenheit. Die moderne Ästhetik würde sicher-
lich einen mächtigen Fortschritt aufweisen, wenn sie sich von diesem Ableger der
Kantischen Lehre befreien und sich an das Platonische Wort erinnern würde, nicht
das Schöne selbst, sondern die Ausgeburt im Schönen der tby.oc, ev xaXdj sei das
Wesentliche, nicht das selbstgenießende Schwärmen, sondern das tatkräftige liebe-
volle Wirken in Zeit und Ewigkeit.
 
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