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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0377

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BESPRECHUNGEN. 371

einem äußersten Punkte zu schneiden, sich also in ein philosophisches System
einzuordnen hätten, ist ein monistisches Vorurteil, das dem — viel mehr funktio-
nellen als substantiellen — Wesen der Philosophie widerspricht.« Auf diese Weise
könnten auch die abstrusesten Phantasien über Kunst emporwuchern, wenn es eben
nicht Simmel wäre, dem sein Erlebnis in königlichem Reichtum nach allen Seiten
hin auswächst, indem er seinen Typus der Geistigkeit auslebt an der Hand eines
bestimmten Materials. Und weil die Gesetzlichkeit dieses Typus das Band schlingt,
in dem alle Widersprüche sich glätten und alle Verzerrungen geradegerückt
werden. Aber nachahmen sollte niemand diese Methode! Die kleinen Simmeis,
die heute umherwimmeln, sehen nur die Oberfläche: die Unbekümmertheit um die
wissenschaftliche Literatur und die Selbstherrlichkeit der Persönlichkeitsentfaltung.
Bei ihnen ist die Folge: der Dilettantismus und ein, Spreizen ihrer nicht sonderlich
fesselnden Eigenart; ein Festkleben an einer Schauung, eine Verworrenheit, hinter
der halbes Unvermögen und halbe Banalität sich birgt. Selbst starke Begabungen
wie Emil Lucka oder Worringer werden auf die Dauer peinlich, weil sie allzusehr
»simmein«, ohne Simmel zu sein. Die Methode Simmeis ist ganz einfach: eben
Simmel zu sein. Darin steckt Rechtfertigung und Grenze und zugleich die Ab-
steckung gegen Philosophie als Wissenschaft.

Eine Probe dieser wissenschaftlichen Kunst — wenn ich mich so ausdrücken
darf — hier zu bieten, erübrigt sich. Ich brauche nicht erst die Leser auf Simmel
aufmerksam zu machen und ihre Spannung zu reizen. Aber auch eine Eindrucks-
schilderung wäre an dieser Stelle nicht am Platz: der Kunstforscher wird den Zu-
gang zum Werk finden. Nicht als organische Lebenseinheit kommt es für ihn in
Betracht, sondern soweit es ihm Lösungen zeigt, Probleme aufwirft, Material bei-
stellt. Er muß es zerreißen und zerpflücken, um es seinen Zwecken dienstbar zu
machen. Und der Aufgabe, jene Einheit und Notwendigkeit zu begründen, muß
ich mich entziehen, denn sie erforderte eine Deutung aus dem gesamten Wesen
Simmeis heraus. Wie eine derartige Aufgabe behandelt werden kann, zeigt uns
Simmel selbst in seinem Goethebuch, wobei ich aber gar nicht Simmel und Goethe
vergleichen will. Ihr Sein gehört ganz anderen Ebenen an.

Die Bedeutung des Werkes habe ich eigentlich bereits gewürdigt. Man darf
es nicht nur vom Standpunkt der Wissenschaft betrachten. Gewiß schenkt es ihr
reiche und wertvolle Anregungen, eröffnet ihr unbetretene Gebiete, zeigt ihr Ver-
trautes in neuem Lichte, aber es bleibt im letzten Sinne doch nur Material für die
Wissenschaft, nicht selbst Wissenschaft. Ihre schrittweise, methodisch gelenkte und
erzeugte Arbeit beginnt dort, wo Simmel aufhört. Husserl heischt von der Wissen-
schaft »eine einfache, völlig klare, aufgelöste Ordnung. Echte Wissenschaft« kennt
nach ihm, »soweit ih-e wirkliche Lehre reicht, keinen Tiefsinn. Jedes Stück fertiger
Wissenschaft ist ein Ganzes von den Denkschritten, deren jeder unmittelbar ein-
sichtig, also gar nicht tiefsinnig ist. Tiefsinn ist Sache der Weisheit, begriffliche
Deutlichkeit und Klarheit Sache der strengen Theorie . Was aber von Seiten der
Wissenschaft her vielleicht mit Recht als Mangel erscheint, ist in anderer Richtung
hin ein Vorzug. Viele wähnen, mangelnde Wissenschaftlichkeit sei in sich schon
ein Zeichen von Großzügigkeit. So entsteht nur nutzloses Zeug, während die
bescheidenste und entsagungsvollste wissenschaftliche Arbeit so notwendig ist, wie
der einzelne Ziegelstein beim Bau eines Hauses. Etwas Negatives kann nicht
einen Vorzug bedeuten. Aber die Negation kann bedingt sein durch Positionen,
zu denen sie in Korrelation steht. Und dies trifft bei Simmel zu: indem er nicht
einem wissenschaftlichen Plane folgt und die stetige Verankerung in der Wissen-
schaft verschmäht, entfaltet sich in individueller Notwendigkeit sein Typus der
 
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