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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0386

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380 BESPRECHUNGEN.

Erwin die gesangliche Reproduktion gehörter Melodien. Im dritten Lebensjahre
wurde absolutes Gehör bei ihm festgestellt. Revesz meint, daß dieses wahrschein-
lich schon früher hätte beobachtet werden können, da es ihm angeboren sei. Ref.
hält diesen Ausdruck für irreführend, denn weder die Tonwortassoziation, noch die
Vorstellung bestimmter Töne kann angeboren sein, noch endlich die Grundlage des
absoluten Tonbewußtseins, nämlich die scharfe Auffassung der Tonqualitäten. Es
gehört auch dazu stets eine, wenn auch minimale Übung.

3'/a Jahre alt komponierte Erwin kleine Melodien mit Begleitung. Im sechsten
jähre schrieb er seine Kompositionen in Noten auf. Von bekannten Komponisten
zeigen nur Haydn, Mozart, St. Saens und R. Strauß nachweislich eine so frühzeitige
Entwicklung.

Revesz vergleicht die musikalische Entwicklung mit der Entwicklung in anderen
Kunstgebieten und erklärt die Tatsache, daß in anderen Künsten eine solche Frühreife
bisher nicht beobachtet wurde, damit, daß musikalisch-produktive Begabung mit Er-
fahrung und Übung in viel lockerer Verbindung steht, als die schöpferische Tätigkeit
in anderen Künsten und Wissenschaften. Die musikalische Invention schöpfe ihre
Materie aus einer selbständigen, ausschließlich der Musik angehörenden Quelle.

Revesz stellt an die Spitze seiner Untersuchungen den Begriff der Musikalität
und versteht darunter einen Komplex von Fähigkeiten, nämlich die Begabung,
Musik ästhetisch zu genießen, das Verständnis für musikalische Formen, für den
Aufbau des musikalischen Satzes, den Sinn für den Stil und die Fähigkeit, sich in
die Stimmungen der Musik hineinzuversetzen. Die Musikalität sei somit ein in-
tegrierender Teil der ganzen Persönlichkeit.

Ref. hält zwar diesen Kompromiß zwischen den Gefühlstheoretikern und den
Formalisten (Hanslick) und auch die Ausdehnung des Musikalischen über das
Akustische hinaus, als eines besonderen Menschentypus, für sehr glücklich, meint
aber, daß der Begriff des Musikalischen durch die Erläuterungen Revesz' doch nicht
genügend geklärt sei. Sind alle die erwähnten Eigenschaften zum Musikalischsein
nötig oder nur ein Teil und welcher? Gerade ein zwei- bis dreijähriges Wunder-
kind zeigt, daß es von der Reveszschen Musikalität noch weit entfernt ist.

Besser der Untersuchung zugängig als die Musikalität hält Revesz das kom-
positorische Talent. Man müsse Kompositionen verschiedener frühreifer Musiker
miteinander vergleichen und außerdem Kompositionen desselben Kindes aus ver-
schiedenen Entwicklungsperioden.

Durch die periodische Vergleichung erfahre man die Kontinuität der Entwick-
lung, die Einflüsse der Kenntnisse, des Unterrichts usw.

Auch die reproduktive musikalische Fähigkeit sei wichtig für die Untersuchung
der produktiven Begabung, besonders deshalb, weil sie keine reine Reproduktion
wie das Kopieren eines Bildes sei, wobei unter vielen Kopien eine die treueste sein
kann, sondern ein eigenes Schöpfen, in dem der Künstler sein Inneres zum Ausdruck
bringe. Nach Ansicht des Ref. hinkt der Vergleich mit der Malerei, denn es gibt
auch im akustischen Gebiet die Möglichkeit, ein Tonstück einem vorgespielten mög-
lichst genau nachzuspielen; da aber die Noten nur Symbole sind für Töne und
Melodien, so ist ein Abspielen von Noten überhaupt keine Reproduktion.

Die Intelligenzprüfungen Erwins mit der Testmethode zeigen, daß er seine
Altersgenossen um zwei Jahre überragt. In seinen Zeichnungen ist er jedoch hinter
ihnen zurück. Erwins Äußerungen über Komponisten nehmen nach Ansicht des
Ref. in der Darstellung einen über Gebühr großen Raum ein; sie sind ja ganz
lustig zu lesen, sind aber ohne weitere Bedeutung, da sie sicherlich zum großen
Teil durch Lehrer und andere Erwachsene beeinflußt sind.


 
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