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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Escherich, Mela: Die Architekturmalerei in der mittelalterlichen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0432

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426 MELA ESCHERICH.

Die Gestalten der mittelalterlichen Kunst schreiten wie auf der
Mysterienbiihne skandierend — man beachte die Fingerspiele! — mit
abgezählten Schritten. Es dauert Generationen, bis zufällige Bewe-
gungen zugelassen werden. Noch unmittelbar vor Dürer (Wolgemut,
Hans Pleydenwurff, Schongauer) ist es nicht angängig.

Diesem bühnenhaften Charakter entspricht die eigenartige Anwen-
dung, die die Architektur findet. Sie erscheint zunächst im Verhältnis
wie das Spielhaus zur Szene, als Rahmen. Die Mysterienspiele waren
aber hierzu nicht Vorbild; denn der gemalte Architekturrahmen ist be-
deutend älter als die Spiele. Er ist schon in der karolingischen Kunst
beheimatet. Zuerst treffen wir ihn zur Umrahmung für Einzelfiguren
als einfachen Bogen auf Säulen ruhend, deren Kapitalen Pflanzen ent-
wachsen. So z. B. in dem ältesten Evangeliar Flanderns zu Maaseyck,
dem fragmentarisch erhaltenen Werk der Nonnen Herlinde und Relinde
um 730—50. Dann reicher gebildet als Rund-, als Kleeblattbogen;
mit bandumwundenen Säulen und aufwändig ausgeführten Kapitalen
(10. und 11. Jahrhundert). Nicht selten schließt sich dann als Eckfül-
lung über den fallenden Linien des Bogens dahinter aufsteigendes
Zinnengemäuer und Getürm an. Dadurch verliert der Bogen seinen
Charakter als Nischenöffnung, täuscht den Einblick in einen Wohn-
raum der über ihm angedeuteten Burg vor, um so mehr, da oft, phan-
tastisch genug, bewegt geraffte Vorhänge angehängt werden, die dem
bisher leeren Raum um die Figur etwas Wohnliches geben. Der
Architekturrahmen, bisher Nischenöffnung, ist also jetzt Hausöffnung
geworden und zwar ganz im Sinne des Bühnenhauses: der Blick in die
Stube ermöglicht sich dem Beschauer durch das Fortlassen einer Wand.
Die Stube ist angeschnitten und um dem Anschnitt das Störende zu
nehmen, wird eine architektonische Dekoration vorgelegt. Dieser Dekor
entäußert sich immer mehr des ornamentalen Gepräges, wird, schon in
der Miniaturmalerei, immer bauhafter. Es erscheinen Baldachine mit
Zinnenkränzen, Giebeln und Turmdächern (14. Jahrhundert).

Mit der Gotik dringt die Architektur in nie dagewesener Weise in
alle Kunstformen ein. Der Sakralbau ist Vorbild für alles. Reliquien-
schrein, Truhe, Schmuckkästchen werden Miniaturkirchen. In der Grab-
malplastik wandelt sich die schlichte Mulde in ein zierreiches Gehäuse.
Das Altarbild erhält den geschnitzten Schrein, ein Phantasiegebäude,
dessen in die äußerste Zierhaftigkeit getriebene Architektur endlich
wieder in Ornamentik endet.

Überall spielt die Architektur eine große Rolle; nur hat sich das
Verhältnis zwischen ihr und den Schwesterkünsten umgekehrt. Früher
schmückten Malerei und Skulptur als dienende Glieder das Bauwerk;
jetzt kommt die Architektur in die dienende Stellung des Rahmens.
 
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